Chronik des Amtsgerichts Tostedt - ausführlich -
Ein schwieriger Anfang!
Zur Entstehungsgeschichte des Amtsgerichts und des Amtes Tostedt im 19. Jahrhundert
Vorbemerkung
Wenn eine Einrichtung wie das Amtsgericht ein bedeutendes Juliläum begeht, sollte der Heimatverein nicht abseits stehen. Unser Angebot, einige geschichtliche Informationen zur Entstehung des Tostedter Gerichts zusammenzutragen, fand die uneingeschränkte Zustimmung und aktive Beteiligung der Mitarbeiter des Amtsgerichts. Dennoch erwies sich die Aufgabe als recht schwierig; zwar existierten in der Überlieferung und im heimatkundlichen Schrifttum einige Versionen zur Entstehung und Entwicklung der Tostedter Gerichtsbarkeit, doch gab es nur wenige Hinweise auf konkrete Archivalien. Hinzu kam, dass die Justizbehörde eng mit der Einrichtung des Amtes Tostedt - von 1859-1885 - verquickt war;
das heutige Amtsgerichtsgebäude tritt uns anfangs als "Amts- und Gerichtsgebäude" entgegen. Eine gemeinsame Darstellung dieser beiden wichtigen Bereiche der ehemaligen Tostedter Zentral- und Verwaltungsfunktion erschien daher sinnvoll.
Die Probleme bei der Beschaffung archivalischer Erkenntnisse zu den Veränderungen Tostedts im 19. Jahrhundert mögen dem Vorwort des Tostedt-Findbuches des Haupt-Staatsarchivs Hannover (Hann 74 Tostedt, Amt Tostedt) entnommen werden: "Das Amt Tostedt ist erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts eingerichtet und 26 Jahre später schon wieder aufgelöst worden...
Mit 1588 Wohngebäuden und 10101 Einwohnern gehörte es zu jenen 24 von 102 Ämtern des Königreichs Hannover,
die erheblich unter dem für die Verwaltung als am günstigsten angesehenen Durchschnitt von ungef. 15000 Einwohnern je Amt lagen. Die Errichtung des Amts Tostedt war 1852 eingeleitet worden, als bei der Trennung von Verwaltung und Justiz das neugebildete Amtsgericht für den Bezirk des Amts Moisburg seinen Sitz in Tostedt zugewiesen bekam. 1859 wurde dann auch der Amtssitz nach Tostedt verlegt... Seit dem 1.4.1885 bilden die Ämter Tostedt und Harburg den Landkreis Harburg. - Von dem einstigen Amtsbestand ist nach den Kriegsverlusten nur noch ein Rest vor allem von Domanialakten erhalten geblieben. Selbst dieser Rest hat keine einheitliche Gliederung gehabt...
Das Nebeneinander zweier Gliederungen muß möglicherweise im Zusammenhang mit der Bildung des Amtes Tostedt und der Verlagerung der Akten von Moisburg nach Tostedt gesehen werden. Die in Tostedt begonnene Neugliederung hat jedoch bis zur Aufhebung des Amtes nicht beendet werden können."
Angesichts dieser Schwierigkeiten stellte es für die Archive eine gewisse Herausforderung dar, uns - Renate Dörsam und Dr. Ulrich Klages - bei der Suche nach Tostedter Amts- und Gerichts-Archivalien weiterzuhelfen. Den "betroffenen" Mitarbeitern aller angeschriebenen und aufgesuchten Instiutionen sei für ihre bereitwillige Unterstützung und viele weiterführende Hinweise herzlich gedankt.
Zu nennen sind das Niedersächsiche Hauptstaatsarchiv Hannover, das Archiv in Pattensen, das Niedersächsische Staatsarchiv in Stade, die Denkmalschutzabteilung der Bezirksregierung Lüneburg und das Bauaktenarchiv des Freilichtmuseums am Kiekeberg. Weiterhin möchten wir Herrn Dr. Klaus Richter, Staatsarchiv Hamburg, Herrn Bernd Adam, Berenbostel, und Herrn Kurt Herdecke, Archivar der Samtgemeinde Tostedt, für zahlreiche Hinweise danken.
Leider war trotz aller Bemühungen nicht jede unserer Fragestellungen über die Verwaltungsakte vor nunmehr 150 Jahren zu beantworten - vieles wird wohl für immer im Dunkel der Geschichte ruhen -, dafür entdeckten wir aber Vorgänge und Begebenheiten, die Schlaglichter auf die Lebensverhältnisse im "alten Tostedt" werfen und anrührende Einblicke auf das Schicksal Einzelner gestatten.
Wurde das Amt Tostedt auch schon im ausgehenden 19. Jahrhundert aufgelöst, so blieb das Gericht dem Ort glücklicherweise erhalten - als letzter Vertreter seiner einstigen, leider recht kurzdauernden überregionalen Bedeutung. Annähernd hundert Jahre später, im Jahre 1980, schien auch dies nicht mehr sicher,
doch letztlich konnte die angedachte Verlegung des Amtsgerichts nach Buchholz vermieden werden. Unvermeidlich war nun allerdings seine technische Modernisierung und räumliche Ausdehnung. Hinsichtlich des Hauptgebäudes stand dabei die Beachtung des Denkmalschutzes außer jedem Zweifel.
Der Tostedter Hof jedoch - zunächst noch in Privatbesitz - sollte einer Vergrößerung des Gerichts Platz machen.
Letztlich ließ sich auch für dieses geschichtsträchtige Gebäude ein Erhaltungskonzept realisieren, das wegen seiner erheblichen Kosten heute - wie aus persönlichen Gesprächen zu vernehmen ist - wohl kaum noch umzusetzen wäre. Wir danken den beteiligten Institutionen - dem Staatlichen Baumanagement Oldenburg, dem Staats-Hochbauamt Lüneburg,
dem Niedersächsichen Landesamt für Denkmalpflege und der Bezirksregierung Lüneburg - für ihre Unterstützung und die Möglichkeit der Akteneinsicht.
Für baugeschichtlich Interessierte sind zwei Aufsätze über das Amtsgerichtsgebäude und über den Tostedter Hof, erschienen 1996 resp. 1999 im Jahresheft des Tostedter Heimatvereins, als Neuabdruck angefügt.
Eine Darstellung der langjährigen Baumaßnahmen kann nicht das Ziel der vorliegenden Untersuchung sein;
einige Informationen mögen der begleitenden Ausstellung entnommen werden. Das Ergebnis der sehr sorgfältigen Planungen und ihrer Durchführung steht heute klar vor Augen. Möge es auch unter dem Blickwinkel zukünftiger Generationen Anerkennung finden!
I. Die Vogtei Tostedt und ihre Gerichtsbarkeit
Als Kirchspielort besaß Tostedt bereits im Mittelalter eine gewisse zentrale Bedeutung im umgebenden ländlichen Raum. Schon um 800, zur Zeit der Christianisierung der Sachsen und speziell des Moswidi-Gaues, ist hier die erste Holzkirche errichtet worden. Tostedt dürfte damals der Sitz eines Gohs (eine auf die Franken zurückzuführende Gebietseinteilung) geworden sein. Aus der Gohverwaltung gingen die Vogteien hervor. Das Wort Vogt leitet sich ab von advocatus und beinhaltet die Funktion eines örtlichen Verwaltungsbeamten der Landesherrschaft, hier also des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg.
Die unmittelbar übergeordnete Verwaltungseinheit war das Amt, hier das Amt bzw. das zeitweilig selbstständige Herzogtum Harburg.
Wir verweisen auf folgende historische Gesamtdarstellung:
Professor Dr. Günther Franz: Verwaltungsgeschichte des Regierungsbezirks Lüneburg, 1955 (S.32)
"Bereits im 13. Jahrhundert lag die Lokalverwaltung in der Hand der Vögte (advocati), die zuweilen auch zu den herzoglichen Beratungen zugezogen wurden. Der Vogt war in seinem Amtsbereich als Vertreter des Herzogs Inhaber der hohen wie der niederen Gerichtsbarkeit." - "Im 15. Jahrhundert treten uns in Schatz- und Zinsregistern die Ämter bereits als so feste Gebilde entgegen, daß erstmals ihre kartographische Festlegung möglich wird." - "An der Spitze der Ämter... standen Vögte... Sie hatten in ihrem Bezirk, der sich meist aus zwei oder drei alten Go- oder Landgerichten zusammensetzte, alle Hoheitsrechte des Herzogs wahrzunehmen. Vor allem waren sie Richter an des Herzogs Statt und Verwalter des landesherrlichen Grundbesitzes."
(S. 33) Erst im 16. Jahrhundert setzte sich die Bezeichnung "Amt" durch.
"Die Unterbezirke des Amtes waren die Vogteien, wenn nicht der alte Name "Go" erhalten blieb. An der Spitze der Ämter standen Befehlshaber, Hauptmänner oder Amtmänner. Unter ihnen standen als "zweite Beamte" Amtsschreiber,
denen wieder Vögte, Gografen, Veestherren, Forstbedienstete usw. beigegeben waren." -
"Die Bauern hatten als Grundzins Geld- und Naturalabgaben zu entrichten, aber auch Dienste für den Amtshaushalt zu leisten. Diese Abgaben bildeten den Grundstock der landesherrlichen Einnahmen. Ihre Verwaltung war die vorzüglichste Aufgabe der Ämter."
(S.33/34) "Aufgabe der Amtleute war die Pflege der Wälder und Gehölze. Noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts unterstanden alle mit Nutzungsrechten belasteten Wälder, also fast alle Heideforsten, den Holzungsgerichten...
Diese Holzungsgerichte tagten ein- oder zweimal im Jahr. Ursprüglich fanden sie im Freien statt, später, seit dem
16. Jahrhundert, wurden sie in das Vogteihaus oder in die Amtsstube verlegt. Holz- und Gerichtsherr war zumeist der Landesherr, manchmal aber auch ein Adliger oder ein Kloster. Der Landesherr ließ sich durch einen Meier oder einen Amtmann vertreten. Der Gerichtsherr führte nur den Vorsitz und fragte das Urteil. Das Urteil zu fällen kam den Holzungsleuten oder Erben, also den Nutzungsberechtigten, zu. Das Holzungsgericht bestrafte nicht nur Forstfrevel, sondern verwaltete auch die Forsten. Es wählte die Holzgeschworenen, die die Forstpolizei ausübten. Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts ging der Einfluß der Holzgerichte zurück. Die Amtleute wollten nicht nur Vorsitzer, sondern auch Richter sein. Sie brachten den Strafvollzug an sich und setzten durch, dass Holzfrevel als Diebstahl mit Freiheitsstrafen geahndet wurde." - "Noch Ende des 17. Jahrhunderts wurden in den Ämtern die Landgerichte jährlich öffentlich gehegt und gehalten. Zu den Landgerichten mußten alle Untertanen erscheinen. Sie hatten ihr bestes Gewehr mitzubringen und ihre Leuchte vorzuweisen, damit festgestellt wurde, ob jeder Hausvater zur Verhütung der Feuersgefahr damit versehen sei.
Die Landesordnungen wurden verlesen. Schon diese Bestimmungen zeigen, daß "der landgerichtliche Hauptendzweck" nicht mehr die Rechtsprechung, sondern die Inspektion der Ämter war..."
Über die Gerichtsverhältnisse in Tostedt findet man sehr eindrucksvolle und detaillierte Schilderungen in Aufsätzen von Albert Bartels: "Steifzüge durch das frühere ländliche Gerichtswesen", Heimatglocken, Winsener Anzeiger, Febr. 1961. Einige "Holtingprotokolle" der Zeit um 1500 "uppe dem Todt" sind noch erhalten geblieben. Dr. Hermann Schettler: "Die Markgenossenschaft des Todt", 1988, hat einige dieser alten Schriftstücke abgedruckt. So heißt es in dem ältesten überkommenen Protokoll vom 14. August 1483: "In dem jare na der bord Christi unses herrn dusend veir hundert und dreiundachteigsten jare am avende assumptionis Marie heft de irlichtige hoichgeborene Furste und here ere Hinrik de junger ... eyn holting uppe dem Tote in dem dorpe to Tostedt by dem kerkhove darsulves na wontliker wis geheget undd holden laten." - "Holting" bedeutet Gerichtstag über die Holzungen und leitet sich ab von dem Wort Thing. Plattdeutsch hieß das offenbar "Thee", und so gab es an der Dieckhofstraße eine "Theewisch" und einen "Theediek". Gerichtsherren bzw. Holzherren waren zumeist die Herren von Heimbruch, bis dieses Adelsgeschlecht von den sich etablierenden Herzögen von Harburg verdrängt wurde. Später sollen in Tostedt Landgerichtstage abgehalten worden sein, deren Befugnisse etwas unklar erscheinen. Immerhin ist die Stelle noch bekannt, wo der Tostedter Galgen gestanden hat, nämlich am Weg nach Dohren und Bötersheim. Ein Flurstück östlich der Buxtehuder Straße heißt heute noch "Beim Gericht". Es gab auch ein eigenes Patrimonial-Gericht in Bötersheim selbst, dessen Vorhandensein - wenn auch nicht Funktion - mit einem eigenen Galgen signalisiert wurde.
Mit der Gerichtsbarkeit war die Verwaltung der herrschaftlichen Einkünfte und Privilegien eng verbunden. Werner Voß, Sottorf: "Ein Vogt im Streit der Parteien", hat in Zeitungsartikeln mehrfach über die ältesten Verhältnisse und ihre menschlich-allzumenschlichen Seiten berichtet. In einer Streitsache zwischen dem Erzbischof von Bremen und dem Herzog von Harburg über Rechte in einigen Holzungen wurde im Jahre 1553 auch der herzogliche Tostedter Vogt, "Cordt Vaget tho Toste", in den Verhandlungsort Buxtehude geladen. Wir hören von demselben erneut in den Jahren 1568/69, als einige Aussagen zu seiner Person protokolliert wurden: "Er heiße mit Namen Cordt oder Curth Stahel und sei 63 oder 64 Jahre alt. Zur Befragungszeit sei er etwa 16 Jahre in Tostedt tätig gewesen. In jungen Jahren, und zwar vor der «lübbischen Feide« (1534-1536) war er `Diener« bei Jost v. Weihe (Bötersheim) gewesen. Später war er in erzbischöfliche Dienste gewechselt auf den Mühlenhof nach Buxtehude... Der Harburger Herzog hatte mit der Anstellung des Cord Stahl als Vogt in Tostedt seinem Widerpart, dem Erzbischof von Bremen, nicht nur einen Mitarbeiter abgeworben, und, soweit die Akten darüber einen Schluß erlauben, einen nicht untüchtigen; es mag für ihn noch einen anderen Gesichtspunkt gegeben haben: Während der erzbischöflichen Dienstzeit, berichtete der Vogt, sei er 3 Jahre von der Junkerfamilie v. Heimbruch gefangen gehalten worden. Anlaß sei gewesen, daß er in seiner Funktion als erzbischöflich beamteter Holzvogt nicht habe zulassen wollen, daß Heimbrucher Leute `den Alvesen« (Dorf Alvesen) aufbauten... Demnach mochte der Herzog sicher sein, daß dieser Mann nicht gerade ein Freund der genannten Junkerfamilie war oder werden würde. Und gerade das wird in seine Intentionen gepaßt haben. Im Gebiet des Todt hatten sich die v. Heimbruch großen Einfluß verschafft. Barthold v. Heimbruch war der erste Holzherr. In der Folgezeit hat die Junkerfamilie ihre mit der Holzherrschaft verbundenen Rechte beständig ausgeweitet. Noch 1552 bis 1569, als der Herzog mit landesherrlichen Befugnissen der Tendenz bereits entgegensteuerte, hatten die vorgenommenen Pfändungen der Heimbrucher Vögte ein beachtliches Volumen... Bezeichend, wie rigoros man vorging, mag ein Fall aus Otter angeführt werden. Dort waren zwei Heimbrucher Vögte in Verfolgung eines vermuteten `Bruches« (Holzvergehen) in das Haus des Hans Erhorn - vermutlich der `Groden Hans-Hoff«- eingedrungen und hatten den Hauswirt jämmerlich zusammengeschlagen, daß der Nachbar herbeieilte und ihn wieder aufrichten mußte. Währenddem war der damalige Holzherr, Christoffer v. Heimbruch, in Person hoch zu Roß in die Diele geritten gekommen und hatte seinen Leuten zugerufen: `Schleift ihn heraus, und schlagt ihn tot!«, was aber doch wohl unterblieben ist."
Sehr hübsch ist die Ämterkarte Johannes Mellingers aus dem Jahre 1593, auf der um den Kirchort "Dostede" herum 24 zugehörige Ortschaften eingezeichnet worden sind, dazu die wichtigsten "…rter" der Todtholzung. Die damalige "Voigtey Tostede" umfaßte schon den Hauptteil der heutigen Samtgemeinde, jedoch ohne Handeloh, dafür mit "Spötze, Halbesbostel, Holdorff und Ochtmannsbruuk" auch wesentliche Teile des großen Kirchspiels Hollenstedt, sogar "Hollenstede" selbst ist am Rande des Vogteibezirks eingezeichnet. Zuverlässige Nachrichten über den Umfang der Vogtei Tostedt sind dem Harburger Erbregister des Jahres 1667 zu entnehmen. Handeloh,Wörme, Höckel und natürlich Königsmoor und Wümme fehlten noch in dieser Liste, hinzugekommen war seltsamerweise Wehlen. Von den Hollenstedter Orten war nur Ochtmannsbruch noch dabei. Das Kirchspiel Hollenstedt gehörte damals - mit Ausnahme von Avensen, Everstorf, Vaerloh, Callmoor und Hollinde, die zusammen das heutige Heidenau bilden - eindeutig zum Amt Moisburg.
Der Amtssitz des Tostedter Vogtes lag an der Diekhofstraße (Albert Bartels: "Dat Kloster, Aus der Geschichte des ältesten Hauses in Tostedt", Harburger Kreiskalender 1961, S. 51). Nähere Feststellungen über die Gründung dieser Stelle mit der späteren Tostedter Haus-Nr. 11 und über die verwandtschaftlichen Verhältnisse und die beruflichen Orientierungen der damaligen Inhaber - u. a. mit der angegliederten Zolleinnahmestelle - sind der Untersuchung von Albert Huth u. Klaus-R. Rose: "Die Amtsvögte von Tostedt im 17. Jahrhundert", Harburger Kreiskalender 1990, S. 48-49, zu entnehmen. Demnach bestand hier einerseits eine dienstpflichtige Vogt-Kote, andererseits ein Halbhof, der sog. Freihof bzw. Erbenzinshof, der von nahezu allen üblichen Pflichten und Abgaben gegenüber dem Herzog befreit war. Leider haben wir von den rechtlichen und wirtschaftlichen Zuständen der Folgezeit keine sehr genauen Kenntnisse, zumal die Vogtei im 19. Jahrhundert einer starken Umstrukturierung unterworfen war, ein Vorgang, der mit der Geschichte des Amtsgerichtes eng verknüpft war und der zumindest in Ansätzen auch den Inhalt dieser durchaus noch vorläufigen Ausarbeitung darstellen soll.
Bekannt war bis in unsere Zeit das alte Vogteigebäude unter der Bezeichnung "dat Kloster", weil es zuletzt als Witwensitz für "Posthalters Hof" der Familie Huth gedient hatte. Es existieren nur einzelne Fotos, spärliche Überlieferungen und eine erhellende Zeichnung der Diele (von Albert Bartels) dieses offenbar recht großen Hallenhauses; man erblickt hier zwei Herdstellen (überwölbte Diggenherde), die aber schon an Schornsteine angeschlossen waren, jedenfalls wohl erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eingebaut worden sind für abgeteilte Wohnungen einzelner Personen. Damals wird auch das auf den Fotos erkennbare Ziegeldach aufgebracht worden sein. Diese Veränderungen dürften erst erfolgt sein, nachdem das Haus in seiner Funktion als Vogtei ausgedient hatte. Der eigentliche Wohnbereich, das Kammerfach, soll dagegen recht großzügig eingerichtet gewesen sein, ältere Einwohner Tostedts erinnern sich an ungewöhnlich hohe Räume und große Fenster, wie sie auch auf einem der Fotos zu erkennen sind. Hier erscheint die ursprüngliche Erbauung als Vogtei schon eher plausibel, wenn es sich auch nicht um ein "Kreuzhaus" mit querem, zweigeschossigem Wohnteil wie zum Beispiel in Jesteburg gehandelt hat. Das Gebäude war noch bis etwa 1955 bewohnt, 1972 wurde es wegen Unbewohnbarkeit abgerissen. Eine als Rest einer Toreinfahrt erkennbare Bohle wurde damals gerettet und befindet sich heute im Huthschen Hof. Die eingschnittene Jahreszahl 1630 steht in Übereinstimmung mit der archivalischen Überlieferung, nach der in jenem Jahre ein Cordt Bredehol mit dem wüsten "Freihof" belehnt und mit dem Amte des Vogtes betraut wurde.
In der Chronik von Grete Matthies u. Walter Bostelmann: "Wistedt, Quellen, Wümme", 1990, findet sich eine Zusammenstellung der Vögte in Tostedt, die von Dr. Hermann Schettler ("Geschichte der Vogtei Tostedt", 1992), im Wesentlichen übernommen wurde und hier etwas gekürzt und ergänzt wiedergegeben wird. Mehrere Ergänzungen und Korrekturen verdanken wir Herrrn Klaus-R. Rose, Tostedt (Schreiben vom 20. 6. 2002). Es wird jeweils der erste und letzte archivalische Nachweis genannt.
Meynnicke Schroder 1450/51. Cordt Staell 1553. Vollradt Lamperßwald 1593. Christoph Schmidt vor 1642. Cordt Bredeholl 1630. Tönnieß (Anton) Bredehol 1642, 1667 (Amts- u. Gerichtsvogt). Leutnant Christian Wilhelm v. Fingk 1678,1706. Johann Lorenz Müller 1708,1715, Franz Johann Winter 1714,1732, Milenhausen 1732, 1755, Chr. Joh. Meyer 1744 (?). Johann Friedrich Huth 1755, 1758 (?). Tocht oder Focht 1758,1566 (Vogt?). I. L. C. Wilkens 1768, 1785. J.J. Kleffer, 1787, 18o1 (in franz. Zeit Kantons-Maire, gest. 1810). G. L. Kuckuk 1813. Spall 1807, 1823. Joh. Heinr. Daniel Müller 1823, 1852 (?). Voß 1839 (?). Kirchner 1845,1852 (?). A. W. H. Meyer 1856,1863. Wuthmann 1864. Carl Conrad Adolf Lemke 1864, 1865. Johann Heinrich Christian Lüders 1865 (ab 1868 Amtssekretär). Dieterichs 1874 (Amtshauptmann).
II. Die Franzosenzeit: Einbruch der Moderne
Ohne Frage war die Occupation Deutschlands durch die Napoleonische Armee ein tiefgehender Schock für das Selbstbewusstsein der Menschen. Alles damit Zusammenhängende wurde daher sehr rasch verdrängt oder negativ bewertet. Für Tostedt erwies sich diese Epoche - trotz der anschließenden restaurativen Maßnahmen - jedenfalls als Auftakt zu seiner beachtlichen Entwicklung im 19. Jahrhundert, wobei die Anbindung an ein modernes überregionales Straßennetz eine Schlüsselfunktion bekam und für lange Zeit behielt.
Für die wichtigsten allgemeinen Veränderungen jener Epoche sei wiederum auf die schon genannte Übersichtsdarstellung verwiesen: Professor Dr. Günther Franz: Verwaltungsgeschichte des Regierungsbezirks Lüneburg, 1955 (S. 35 ff):
In der Napoleonischen Zeit wurde das Fürstentum Lüneburg in recht willkürlicher Weise aufgeteilt.Tostedt gehörte zeitweilig zum Königreich Westphalen des Kaiserbruders Jerome, wurde 1810 jedoch wiederum Teil des Kaiserreichs Frankreich selbst, und zwar durch die Einrichtung eines "Departements der Elbmündungen" - "Rechtsprechung und Verwaltung wurden getrennt. Jedem Kanton war ein Friedensgericht, jedem Distrikt ein Tribunal erster Instanz und jedem Departement ein Kriminalgerichtshof zugeordnet." - "Der Kanton war eigentlich nur als Gerichtsbezirk für das Friedensgericht gedacht. Vielfach wurden jedoch Kantonmaires eingesetzt, weil für die zahlreichen Munizipalitäten nicht genügend Maires zur Verfügung standen. Neben dem Maire, dem ein oder mehrere Adjunkten zur Seite standen, stand der Munizipalrat aus 8 bis 20 Mitgliedern."
Tostedt gewann in der französischen Besatzungszeit eine besondere Bedeutung, indem es nicht nur als Sitz einer Mairie, sondern als übergeordneter Kanton klassifiziert wurde. Die damalige, zwar vorübergehende, aber im Bewusstsein der Bevölkerung sicherlich nicht ohne Nachwirkung gebliebene Verwaltungseinteilung ist zeitgenössischen Karten und einem damaligen Register zu entnehmen; beides verdanken wir Herrn Dr. Klaus Richter, Staatsarchiv Hamburg.
Jahrbuch für die Hanseatischen Departements insbesondere für das Departement der Elb-Mündungen, herausgegeben von A.C.Wedekind, Hamburg 1812 bei Friedrich Perthes:
Arrondissement Lüneburg, Kanton Tostedt, mit 1. Commune Tostedt (umfasste die jetzige Samtgemeinde, ferner Ochtmannsbruch, Bendesdorf und Buchholz), 2. Com. Lauenbrück u. Moorhaus (dazu u.a. Scheeßel, Schneverdingen), 3.Com. Hollenstedt.
Unter Civilverfassung, Mairien, wurden für Tostedt verzeichnet: Hr. J. H. Kleffer, Maire, Hr. C. Gerlach, Maire adj., Municipal-Rath: die Herren J. Matthies, C. Matthies, J.H. Gerlach, P. Meyer, J. H. Maibohm, H. Oelkers, T. Matthies, J. Westermann, J. Heimann, C. Wiechern.
Moisburg gehörte als Commune zum Kanton Buxtehude, Maire war Hr. H. L. Sarnighausen.
III. Landdrostei Lüneburg: Restauration und Modernisierung
Hatte Tostedt in der französischen Zeit eine beachtliche Aufwertung als Sitz eines "Kantons" erfahren, so verschwand diese zusammen mit dem Departement der Elb-Mündung vollständig. Tostedt wurde wieder die ferne, provinzielle Vogtei des Amtes Harburg. Wie wir sehen werden, scheint jene Zeit jedoch gewisse Spuren im Bewusstsein der Tostedter hinterlassen zu haben; wären sie sonst so vermessen gewesen, schon so bald wieder nach der Amtsfunktion zu greifen? Zunächst jedoch soll die allgemeine Entwicklung kurz dargestellt werden.
Professor Dr. Günther Franz: Verwaltungsgeschichte des Regierungsbezirks Lüneburg, 1955 (S.41 ff): "Nach dem Sturz Napoleons wurde Hannover zum Königreich erhoben und die Gesetzgebung der letzten zehn Jahre ausgelöscht. In Rechtsprechung und Verwaltung wurden die Zustände des 18. Jahrhunderts wiederhergestellt. Die adligen Vorrechte traten erneut in Kraft, die Landstände erwachten zu neuem Leben." - "Nachdem eine anfängliche Zentralisierung aller Verwaltungsaufgaben nach der Landeshauptstadt Hannover beabsichtigt und zum Teil verwirklicht worden war, wurden im Laufe der Jahre Verwaltungsreformen durchgesetzt, die zur Bildung von "Mittelbehörden" tendierten. So kam es 1823 zur Bildung der Landdrostei, dem Vorläufer des späteren Regierungsbezirks Lüneburg."
(S.77) "Als Ende 1813 die hannoverische Verwaltung in den zum Königreich Westphalen und zu Frankreich gehörigen Gebieten wiederhergestellt wurde, trat auch die alte Amtsverfassung von 1674 wieder in Kraft. Die Kantone und Distrikte verschwanden" - Das größte Amt im ganzen Königreich war das Amt Winsen an der Luhe. Große Ämter waren auch Harburg, Bodenteich, Gifhorn, kleine Ämter waren Artlenburg, Hermannsburg, Winsen a.d.Aller, Beedenbostel, Isenhagen, Schnackenburg und Walsrode.
Die Landdrostei Lüneburg im Jahre 1823:
(S.121-123) Unser Gebiet stellte das Königliche Amt Harburg dar, bestehend aus den 6 Marschvogteien und den Geestvogteien Hittfeld, Höpen, Jesteburg und Tostedt; letztere umfasste die heutige Samtgemeinde, dazu Ochtmannsbruch, aber ohne Handorf (zur Vogtei Jesteburg gehörend) und Kakenstorf (zur Vogtei Hollestedt im Amt Moisburg).
Das Königliche Amt Moisburg setzte sich aus den Vogteien Elstorf, Hollenstedt und Moisburg zusammen.
Die Justizverwaltung
(S.90-93) "Nach dem Ende der Napoleonischen Zeit wurde auch im Bereich der Justiz der alte Zustand wiederhergestelt. Der Code Napoleon wurde außerkraftgesetzt. Die Carolina, das kaiserliche Rechtsbuch aus dem Jahre 1532, galt wieder für Strafrecht und Strafverfahren. Selbst die Folter, die Preußen bereits 1803 in Hannover beseitigt hatte, wurde wieder eingeführt, freilich durch königliche Verordnung vom 25. März 1822 endgültig abgeschafft. Justiz und Verwaltung wurden in der untersten Instanz wiedervereinigt und wie im 18. Jahrhundert den Ämtern, den Städten und den adligen Patrimonialgerichten übertragen, doch verloren die adligen Gerichte 1821 die peinliche Gerichtsbarkeit."
So konservativ und restaurativ die gesellschaftliche Situation in ganz Deutschland und nicht zuletzt im Königreich Hannover in den ersten Jahrzehnten nach den Befreiungskriegen auch anmutet, so ließ sich das Rad der Geschichte doch nicht beliebig zurückdrehen. Der Keim für Reformen war vorhanden und führte nach der "mißglückten" «48er Revolutuion zu erheblichen Umbrüchen in Verwaltung und Justiz, die den provinziellen Ort Tostedt nicht nur berührten, sondern erheblich verändern sollten.
(S.91) "Für den Gesamtstaat brachte erst die Revolution von 1848 die Verselbständigung der Justiz. Nachdem bereits die Novelle zur Verfassung vom 5. Sept. 1849 die Grundlinien der neuen Gerichtsverfassung festgelegt hatte, brachte das Gerichtsverfassungsgesetz vom 5. Sept. 1850, das am 1. Okt. 1852 zugleich mit der neuen Amtsordnung in Kraft trat, die Neuregelung der Rechtspflege... Neben den Ämtern wurden, möglichst in den gleichen Orten, Amtsgerichte errichtet. Die Amtsgerichte waren meist nur mit einem Richter besetzt. Er entschied in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten bei Streitfällen bis zu hundert Talern (seit 1859 bis zu 150 Talern) allein. Ebenso lag ihm die freiwillige Gerichtsbarkeit ob. In Kriminalsachen führte das Amtsgericht, ebenso wie das alte Amt, nur die Voruntersuchung. In Polizeistrafsachen entschied das Schöffengericht, bei dem dem Amtsrichter zwei Schöffen zur Seite standen." - "Bei den Amtsgerichten konnte der Amtsgehilfe die Staatsanwaltschaft vertreten."
In rascher Folge kam es zu weiteren Veränderungen im Gerichtswesen und vor allem in der Verwaltungsstruktur, deren Auswirkungen auf Tostedt hier im Vorgriff benannt werden sollen:
1852 Das Gericht Lauenbrück wird aufgehoben und der Vogtei Tostedt zugeschlagen.
1852 (1. Amtsreform): Vom Amt Harburg wird abgetrennt das "Amt Hittfeld zu Harburg" (Vogteien Hittfeld und Höpen). Die Vogtei Tostedt kommt zum Amt Moisburg.
1859 Verlegung des Amtssitzes des Amtes Moisburg nach Tostedt.
1867 Bildung von Kreisen für Militär- und Steuerfragen, u.a. Kreis Harburg (Städte Harburg, Winsen, Ämter Harburg, Tostedt. Winsen.)
1885 Neubildung von Stadt- und Landkreisen, u.a. Harburg (Amt Harburg und Tostedt) und Winsen (Amt und Stadt Winsen).
Was aus der Sicht der Verwaltungsgeschichte so knapp und lapidar wiedergegeben wird, hatte natürlich erhebliche Auswirkungen auf des Leben, die wirtschaftlichen Grundlagen und das Selbstbewusstsein der Menschen in den betreffenden Regionen. Leider konnten wir über die Vorgänge jener Jahrzehnte keine Archivalien finden, die die Auswirkungen jener bedeutenden Umstrukturierungen "vor Ort" erhellen könnten. Wir wissen aus der Überlieferung jedoch, wie lange es gedauert hat, bis große Teile der Bevölkerung sich mit der preußischen Herrschaft arrangieren konnten und wollten. Die "alten Welfen" spielten nicht nur bei den späteren Wahlen, sondern auch im täglichen Leben der Dörfer eine erhebliche und lange nachwirkende Rolle. Der Stolz des Tostedter Schützenvereins auf seine königlich-hannoversche Tradition und Uniform kann hier angeführt werden, ebenso wie schon die Tradition des Vogelschießens, die sich von einem Brauche ableitet, den Herzog Otto der Erste von Harburg einstmals für seine aufstrebende Residenz begründet hatte.
Offenbar waren die Entscheidungen, durch die Tostedt 1852 zum Standort eines Amtsgerichtes und 1859 sogar eines Amtes gemacht wurde, höheren Orts aus - uns z.Zt. nicht nachvollziehbaren - übergeordneten Gründen gefällt worden, jedenfalls ohne erkennbare Beteiligung der Bevölkerung oder wenigstens unterer Verwaltungs-Organe. Wie bereits angedeutet, ist aber die Vermutung begründet, dass die "napoleonische" Epoche mit ihren "modernen" Gesichtspunkten und rationalen Maßnahmen, den anschließenden restaurativen Bestrebungen zum Trotz, nicht ohne Auswirkungen auf die weiteren Entwicklungen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts geblieben ist. So muten einige amtliche Bemühungen, die Ämterstrukur des Harburger Bereichs zu verändern und zu verbessern, geradezu "basisdemokratisch" an, wie den weiter unten wiedergegebenen Archivalien entnommen werden kann.
IV. Landdragoner und ein Gefängnis
Zunächst musste aber wohl ein Vorspiel absolviert werden, das ganz andere, militärisch-polizeiliche, jedenfalls obrigkeitlich-autoritäre Strukturen erkennen lässt. Es ging nämlich im Jahre 1829 um die Verlegung der "Landdragonerkorrespondenz", einer aus einem Mann bestehenden militärischen Polizeieinheit zur Kontrolle der Landstraße von Welle nach Tostedt, und um die Neuerbauung eines Gefängnisses dortselbst.
Hannoversches Hauptstaatsarchiv Hann 74 Tostedt Nr. 133 (Dr. Hermann Schettler, Geschichte der Vogtei Tostedt, hat diese Archivalie bereits ausgewertet, worauf wir uns z.T. beziehen können.)
"Der Sektionskommandant Lübbers kann nicht bestimmt sagen, warum die Sektion von Welle nach Tostedt verlegt worden ist. Er empfiehlt aber Tostedt, weil man von hier aus mit Rotenburg und Harburg besser correspondieren kann." Auch Sittensen könne besser erreicht, Moisburg besser "betreut" werden als von Welle aus. "Außerdem liegt Tostedt an der großen Straße nach Harburg. Eine Wohnung läßt sich zudem in Tostedt leichter beschaffen als in Welle." - Ein Schreiben des Vogtes Müller an das Königlich Großbritannisch-Hanoversche Amt Harburg erklärt, dass in Tostedt mehrmals 30 Handwerksburschen übernachtet hätten, von denen "einige Vagabunden, die keine Wanderburschen- oder unrichtige Pässe gehabt haben, sind arretiert worden."
Ein weiteres Schreiben des Vogtes Müller lautet folgendermaßen:
15 Nov.1829. "An das Königlich Großbritannisch-Hannoverische Amt Harburg -
Bericht der Voigtey Tostedt, die Erbauung eines neuen Gefangenhauses in Tostedt und die Correspondenz der Landdragoner von Soltau über Tostedt nach Buxtehude betreffend.
Bey Remittirung der Anlage verfehle ich nicht dem Königlichen Amte unterthänigst zu berichten, daß
1. das Gefängniß was hier bis jetzt für die Gefangenen zum weiteren Tranport ist eingerichtet nicht groß genug ist wan von 4 Seiten die Arrestanten abgeliefert werden, und muß, da das Gefängniß in dem Heitmannschen Hause dan nicht bleiben kann dieses so gebauet werden, das eins für die Karrengefangenen, eins für die Wagebanden, und noch eins für die Frauenspersonen ist, weil dan sehr oft an einem Tage mehre und viele zugleich ankommen, dabei fest und sicher sein, was bei dem jetzigen Gefängniß nicht so besonders erforderlich ist, da nun dieses in einem Privathause hier nicht von solchen Umfang war angelegt worden, am wenigsten sich aber niemand dazu wird verstehen, so ist erforderlich das von seiten der allergnädigsten Herrschaft solches gebaut wird, und kann ich nicht den Kosten-Anschlag davon aufstellen, da dieser von großem Umfang ist, sondern besser sei, wenn er von dem Amts-Zimmer- und Amts-Maurermeister angefertigt wird, und kann dan auch nicht der Gefangenenwärter Heitmann den Dienst mehr verwalten und muß dan auch noch ein anderer tüchtiger Mann dazu angestellt werden, der stündlich die Aufsicht über die Arrestanten führt und verpflegt.
2. Die Gefangenen können von Tostedt nach Buxtehude in einem Tage abgeliefert werden, und muß da sonst kein gastlicher Ort zum Nachsehn derselben auf dem weiten Weg ist, Moisburg dazu bestimmt werden, weil dieses der kürzeste Weg mit ist und 5 Stunden von hier bis Buxtehude sind, auch kein Hinderniß wird im Wege stehen, da in besondern Fall die Arrestanten die Nacht am Amte können gut ...(?) werden, was an einem andern Orte nicht kann geschehen.
Wenn nun das vorhabende Project soll in Erfüllung gehen, so müssen die Bauren in der hiesigen Voigtey fast täglich Arrestanten fahren und werden diese alsdann damit sehr belästigt werden..."
15. Fer. 1830, Königlich Großbritannisch-Hannoversche Landdrostei:
"In Beziehung auf Unser Rescript vom 3.Novbr. v. J. eröffnen Wir dem Königlichen Amte hiermit, daß die beabsichtigte und wahrscheinlich im nächsten Monate April zur Ausführung kommende Dislocation der Landdragoner zur genaueren Beaufsichtigung der Celler-Harburger-Chaussee nunmehr von dem Königlichen Cabinets-Ministerium genehmigt worden ist; und wird demnach die, mit einem berittenen Landdragoner zu verstärkende, Section zu Tostedt mit der zu Buxtehude entweder in Moisburg oder auch in Hollenstedt correspondieren.
Da inzwischen der Transport der Arrestanten von Celle nach Harburg und Stade bis dahin, daß zweckmäßige Einrichtungen zur Uebernachtung der Gefangenen in Tostedt getroffen sein werden, nach wie vor über Uelzen und Lüneburg beschafft werden muß, so ist es zur Abhülfe dieses Uebelstandes sehr wünschenswerth, daß auf angemessene Vorkehrungen Bedacht genommen wird, um zum wenigsten alle leichteren Arrestanten für eine Nacht in Tostedt baldthunlichst sicher unterzubringen.
Wennzwar das Königliche Amt in dem Berichte vom 19. Nov. v.J. die Ansicht geäußert hat, daß zu diesem Zwecke in Tostedt ein Gefangenenwärter angestellt, und außer der für ihn einzurichtenden Wohnung drei Gefängnisse angelegt werden müssen, so tragen Wir dennoch Bedenken, auf diesen Vorschlag wegen der damit verbundenen beträchtlichen Kosten hin einzugehen. Vielmehr wünschen Wir, daß dieser Gegenstand von dem Königlichen Amte nochmals einer sorgfältigen Erwägung unterzogen werde; und sehen Wir sodann gutachtlichen Anträgen über die etwa zu treffenden, jedoch möglichst wohlfeil einzurichtenden Vorkehrungen zu weiterer Verfügung entgegen; indem Wir zum Beschlusse darauf aufmerksam machen, daß vielleicht der Köthner Heitmann zu Tostedt, welcher bekanntlich die Aufnahme, Verpflegung und Berechnung der durchpassierenden oder anderweit zur Haft kommenden Internirten (?) übernommen hat, den bestehenden Accord fortzusetzen, und zugleich behuf Unterbringung der sich vermehrenden Zahl von Gefangenen annoch ein bis zwei sichere Locale in seinem Hause anzulegen."
13.Sept. 1830, Bericht des Amtes Harburg an die Landdrostei
"Zufolge des uns in der rubricierten Angelegenheit unter 17ten v.M. ertheilten hochverehrlichen Auftrags haben wir uns bemüht, an Ort und Stelle einen Platz zur Erbauung eines Gefangenenhauses ausfindig zu machen und dazu kein anderes Lokal gefunden als ein dem Postverwalter Huth gehöriges circa 40 Quadratruthen haltendes Stück Ackerland "vor der Bünte" genannt, womit ein anderes dem Halbhöfner Johann Jochen Matthies gehöriges Stück Land, ungefähr von gleicher Größe, zusammengränzt. Nach der .... (?) zugelegten Behandlung verlangte der erstere Eigentümer 12 (Taler?) und der letztere 15 (?) für die Abtretung.
Beide Stücke zusammengenommen bilden ein ziemlich regelmäßges Parallelogramm und gewähren, außer dem Grund- und Hofplatze, hinlänglichen Raum und angemessenen Boden zur Gartennutzung für den Gefangenenwärter. Die Lage des Platzes hat vor verschiedenen anderen der Art den Vorzug, daß er fast an dem von Welle nach Tostedt führenden Wege und nahe beim Dorfe belegen, auch bei einer benachbarten Kothstelle ein Brunnen vorhanden ist, der mit benutzt werden kann.
Hinsichtlich der Construction des Gefangenenhauses haben wir angenommen, daß dasselbe 1) ein Lokal für transportierte Sträflinge, 2) ein dito für Vagabunden, 3) ein dito für Frauenspersonen und 4) eine Wohnung für den Gefangenenwärter enthalten und außerdem für den letzteren ein kleiner Stall zu einer Kuh und ein paar Schweinen und zur Aufbewahrung von Futter und Brennmaterial hinzugefügt werden muß, daß der Gefangenenwärter im Gefangenenhause selbst wohne scheint uns behuf der Sicherheit und Aufsicht über die Gefangenen durchaus erforderlich und da hierzu ein verheyratheter Mann angestellt werden muß, der zu seinem und der Gefangenen Unterhalte eines kleinen Haushalts nicht entrathen kann, so dürfte die erwähnte Einrichtung keine weitere Beschränkung zulassen.
Danach habe ich, der Landbaumeister Pampel, die erforderlichen Kosten mit möglichster Erspaarung, auf ungefähr 2000 Thaler veranschlagt, wie Ew. E. aus dem ehrerbietigst angebrachten (?) Anschlage des näheren zu ersehen geruhen wollen."
Leider war bisher nicht festzustellen, ob und wo das Gefängnis erbaut worden ist. Handelte es sich um ein Häuschen an der Diekhostraße, von dem Albert Bartels erzählt, es habe den Namen "Sliekut" gehabt, weil es später zu Trinkgelagen benutzt wurde, und es sei bei der Sonnenfinsternis des Jahres 1911 durch spielende Kinder abgebrannt worden?
V. Moisburg und Tostedt: Ein Wettstreit
Ein sehr umfangreiches Aktenbündet des Staatsarchivs Hannover befasst sich mit einem Vorgang, der seit dem Jahre 1830 bis in die frühen vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts die Gemüter der Region erheblich in Wallung gebracht haben dürfte. Jedenfalls scheint die Bevölkerung der betroffenen Orte Moisburg und Tostedt mit den obrigkeitlichen Plänen einer Verwaltungsänderung erstaunlich weitgehend befasst worden zu sein.
A. F. C. Manecke: Topographisch-historische Beschreibungen der Städte, Aemter und adelichen Gerichte im Fürstenthum Lüneburg, Celle 1858, gibt ein Bild der Verwaltungsverhältnisse der Zeit um 1800 wieder. Tostedt war damals eine von 10 Vogteien, die das Amt Harburg bildeten. Die Vogtei umfasste das Kirchspiel Tostedt, zusätzlich Wehlen aus dem Kirchspiel Undeloh und nicht zuletzt die Ortschaften des heutigen Heidenau (Everstorf, Avensen, Vaerloh, Kallmoor und Hollinde) sowie Ochtmannsbruch aus dem Kirchspiel Hollenstedt. Der Hauptort wird folgendermaßen beschrieben: "Tostedt, worin die Pfarrkirche, das Pfarr-, Pfarrwittwen und Küsterhaus, 33 pflichtige Hausstellen und eine herrschaftl. Amtsvogtswohnung, auch der Landesherrschaft Zoll entrichtet wird und die Post von Haarburg auf Bremen die Pferde zum erstenmal wechselt."
Das gegenüber Harburg wesentlich kleinere Amt Moisburg bestand um 1800 aus den Vogteien Moisburg, Hollenstedt und Elstorf. "Moisburg, worin 31 pflichtige und 7 freie Hausstellen. Letztere sind das landesherrschaftliche Amtshaus, Vorwerk, Schäferei, Brau- und Brennhaus, die Mahl- und Papiermühle ... und die Diensthäuser der Kirchen- und Schuldiener. H. Otto zu Harburg hat die Kirche innerlich mit nicht geringen Unkosten auszieren und dessen Bruder H. Wilhelm das Amtshaus 1618 und 1619 neu aufbauen lassen. Letzteres ist doch schon 1711 wieder abgebrochen und auf dessen Stelle ein neues aufgeführt worden... Die Brauerei und Branntweinbrennerei hat Zwang im ganzen Amte."
Einst hatte Moisburg sogar eine eigene Münze besessen. Die weit zurückreichende Geschichte der "Mosedeburg", des Hauptortes des alten Moswidi-Gaus, geht auch aus der Beschreibung von Matthäus Merian: Topographia Germaniae 1654, hervor: "Moysburg ist ein Fürstliches Lüneburgisches Ampthauß, welches von Edelleuten, die von Moysburg genannt (deren Geschlecht aber nunmehr nicht vorhanden), erbawet seyn soll. Nachgehendes haben es die von Oppershausen, und letzlich Heinrich von der Wense Pfandsweise innen gehabt. Nach dessen Absterben es an Hertzog Otten den Andern, Harburgischer Linie kommen, dessen Sohn, Hertzog Wilhelm hochseel. Gedächtnuß, hat es Anno 1618 new zu bawen angefangen, und in folgenden Jahren vollendet."
Die Braunschweig-Lüneburgischen und später Hannoverschen Amtmänner zu Moisburg hatten wegen der Grenzlage zum Stader Raum eine besondere Stellung inne. Nach Hans-Cord Sarnighausen: Alte Amtmannsgräber in Moisburg, Harburger Kreiskalender 2002, stammten sie aus bedeutenden Familien: Ernst Andreas v. Cronheim, Heinrich Ludwig Sarnighausen, Carl v. Hinüber. Ihre Wappen und Portraits finden sich noch heute in und bei der alten Moisburger Kirche.
Ein "Special Plan von denen Amts und Haushalts Gebäuden zu Moisburg" (nach Hans-Cord Sarnighausen, 2002) zeigt das von Wassergräben umgebene dreiflügelige "Amtshaus" mit dem riesigen barocken "Amtsgarten". Auf der anderen Straßenseite standen zwischen der Kornmühle und den Fischteichen zwei "alte" und eine "neue Scheune, ferner ein großes "Schweinehaus", schließlich Wohnhäuser der Domänenangestellten und die Papiermühle. Im Erdgeschoss des Amtshauses befanden sich mehrere "Dielen", Treppenhäuser, die herrschaftlichen Wohnräume und "des Amtmanns Arbeitsstube", ferner Gesinde- und Fremdenzimmer. Im rechten Flügel lagen die Amts- und die Schreiber-Stube, daneben Remise, Pferdeställe, Torfraum usw., schließlich hier und im darunter befindlichen Keller mehrere "Gefängnisse". Der linke Flügel barg Wasch- und Schlachthaus, Brennhaus, Brauhaus, "des Braumeisters Stube und Kammer", Gerstenkammer und "Mästställe der Schweine."
Verständlich bei so viel Tradition und einer solchen geballten Wirtschaftskraft, dass die Moisburger Amt und Gericht gern behalten hätten!
Hann.80, Lbg I, 805, bezeichnet: Ämter
"Acta betr. die projectierte Vereinigung des Amts Moisburg mit dem Amte Harburg - ingleichen die beantragte Errichtung eines Amtssitzes in Tostedt - sowie die in Frage gekommene Verlegung der Vogtei Tostedt, Amts Harburg, an das Amt Moisburg."
(Das Paket ist etwa 5 cm dick; weitere Akten hierzu finden sich unter Hann 88 F Nr. 1259.)
26. Februar 1830. "Königliche Großbritannische Hannoversche zum Cabinett-Ministerio verordnete General-Gouverneur und Geheime-Räthe (Unterschrift Bremer) an die Königliche Landdrostei zu Lüneburg.
In den entworfenen allgemeinen Plänen über die Zusammenlegung benachbarter Ämter, welche Wir der Königlichen Landdrostei unterm 20sten Mai 1823 mitgetheilt haben, ist eine Vereinigung des bislang nur mit einem Beamten besetzt gewesenen Amts Moisburg mit dem Amte Harburg projectiert worden.Nach dem kürzlich erfolgten Ableben des Amtmanns Sarnighausen ist es nun erforderlich, daß es geprüft werde, ob dieses Project überhaupt ausführbar sey, und eine Vereinigung des Amts Moisburg mit dem Amte Harburg mit Vortheil für die herrschaftliche Casse, ohne Nachtheil für die Dienstverwaltung und ohne erhebliche Beschwerden der Unterthanen geschehen könne, und wollen Wir hierüber dem gutachtlichen Berichte der Königlichen Landdrostei entgegensehen.
Wir bemerken hierzu, daß, insofern die Aufhebung des Amts Moisburg nicht für thunlich oder rathsam gehalten werden sollte, es eine Erwägung verdienen dürfte, ob beiden Ämtern eine ihrer örtlichen Lage angemessene Eintheilung gegeben, und etwa die von Harburg entfernte Vogtei Tostedt dem näher belegenen Amte Moisburg beigelegt werden könne, in welchem Falle für die Geschäftsführung des Amts Harburg vielleicht zwei Beamte genügen würden, und statt der bisherigen dritten Beamtenstelle zu Harburg eine zweite Beamtenstelle bei dem Amte Moisburg zu errichten seyn, und dadurch der Zweck erreicht werden würde, daß auch das Amt Moisburg mit zwei wirklichen Beamten künftig besetzt sey."
Hannover 9. März 1831. Königlich Großbritannisch-Hannoversches Cabinets-Ministerium, Bremer, an die Landdrostei Lüneburg:
"In Beziehung auf Unser Rescript vom 26ten Februar vorigen Jahres, die projectierte Vereinigung des Amts Moisburg mit dem Amte Harburg betreffend, lassen Wir der Königlichen Landdrostei in der zu erwiedernden Anlage eine bei Uns eingereichte Vorstellung der Eingesessenen der Vogtei Tostedt, Amts Harburg, zugehen, worin dieselben zwar um eine Vereinigung mit dem Amte Moisburg, jedoch zugleich darum nachsuchen, daß der Sitz des Amts nach Tostedt verlegt werden möge und sich erbieten, bei den aufzuführenden Gebäuden nicht allein mit Bau-Plätzen, sondern auch mit baarem Gelde und Spann- und Hand-Diensten bedeutend zu concurrieren.
Die Königliche Landdrostei wolle nun diese Anträge in Erwägung ziehen, und bei der Berichts-Erstattung über das anfangs erwähnte Vereinigungs-Project, sich auch hierüber gutachtlich äussern."
29. April 1931. "An Königlich Großbitannisch Hannoversche Landdrostey zu Lüneburg. Commissarischer Bericht des Amtsassessors Campe zu Harburg, die Vereinigung der Vogtey Tostedt mit dem Amte Moisburg betreffend.
"... erlaube mir nur vorläufig zu bemerken, daß der Vorschlag (nämlich Tostedt zum Amtssitz zu machen, Verf.) als ein unreifes unausführbares Krämer-Project auf die Regulierung der Amts-Verhältnisse keinen Einfluß haben wird."
Hannover, 1. August 1831, Kgl. Grbtn.-Hann. Cabinets-Ministerium, Bremer:
"Nachdem Uns von der Königlichen Landdrostey zu Lüneburg die Resultate der Untersuchung über die projectierte Vereinigung der Aemter Moisburg und Harburg vorgelegt wurden, so sind Wir zu der Überzeugung gelangt, daß eine Wiedervereinigung dieser beyden Aemter ohne Nachtheil des Dienstes und der Unterthanen nicht ausführbar sey. Nach der Localität würde es dagegen empfehlenswerth seyn, die aus 35 Ortschaften mit 3385 Einwohnern bestehende Voigtey Tostedt von dem Amte Harburg zu trennen und dem Amte Moisburg, welches 6594 Einwohner hat, beyzulegen, indem dadurch beyde Aemter besser arrondirt und die von Harburg entfernten Unterthanen der Voigtey Tostedt dem Amts-Sitze zu Moisburg um einige Stunden näher würden gerückt werden. Gegen die Vereinigung der Voigtey mit dem Amte Moisburg treten nun aber die Bedenken ein, daß sodann
1., bei dem Amte Moisburg eine zweite besoldete Beamtenstelle würde errichtet werden müssen, ohne eine Dienststelle bey dem Amte Harburg einziehen zu können und daß zu Moisburg, bey dem gänzlichen Mangel eines Unterkommens für den zweyten Beamten nothwendig eine Official-Wohnung mit einem Kosten-Aufwande von 6000 Rthlr. würde erbauet werden müssen, und
2., daß die Eingesessenen der Voigtey Tostedt ihren Wunsch mit dem Amte Moisburg vereinigt zu werden, an die Bedingung geknüpft haben, und dem Commissario ad protokollum vom 27. April d.J. sehr bestimmt erklärt haben, lieber bey dem Amte Harburg verbleiben zu wollen, welches ihnen in vieler Beziehung gelegener sey, wenn der Amtssitz nicht nach Tostedt verlegt werde.
Eine Verlegung des Amts-Sitzes nach Tostedt würde nun aber den Unterthanen des Amts Moisburg sehr nachtheilig seyn, und ist auch schon aus dem Grunde nicht ausführbar, weil sodann zu Tostedt ein ganz neues Amts-Etablissement würde erbauet werden müssen, dessen Kostenaufwand auf etwa 18000 Rthlr. überschlagen ist, und wozu die Dorfschaft Tostedt nur einen Beytrag von 160,000 Ziegelsteinen und ein Areal von 30 Morgen uncultivirten Heidlandes aus der Gemeinheit hergeben will.
Unter diesen Umständen wird auch von einer Vereinigung der Vogtey Tostedt von dem Amte Moisburg abstrahirt werden müssen, und haben wir die Absicht, Sr. Majestät dem Könige den Antrag zu machen, daß die Ämter Moisburg und Harburg in ihrer jetzigen Verfassung unverändert bestehen bleiben, und daß das Amt Moisburg mit einem ersten Beamten wiederum besetzt werde."
Hann 88 F Nr. 1259, Aktennotiz vom 1. Oktober 1833 an die Landdrostei zu Lüneburg (Stellungnahme des Amtes Moisburg):
"...halten dafür daß die bereits im Jahre 1830 in Frage gekommene Vereinigung des Amts Moisburg mit einem der angränzenden Aemter sowie auf die eventualiter projectirte, bereits damals aus pecuniären sowie aus dienstlichen Rücksichten für unzweckmäßig erachtete Etablirung eines neuen Amtssitzes zu Tostedt noch gegenwärtig als unausführbar sich darstellen..."
Knapp zehn Jahre später scheint sich der Wind gedreht zu haben, wie einem umfänglichen Schriftstück zu entnehmen ist:
5. August 1841, an Königliche Hannoversche Landdrostey zu Lüneburg, Bericht des Amtes Harburg betreffend die Errichtung eines Amtes zu Tostedt.
Zunächst geht das Schreiben auf die 1830/31 niedergelegten Erörterungen ein und führt sodann aus, welche Auswirkungen eine solche Umstrukturierung der Ämter auf das Amt Harburg selbst haben würde, u.a. mit folgenden Hinweisen: "... So enthält die Voigtey Tostedt zwar etwa den vierten Theil seiner Seelenzahl, und eine noch größere Quote seines Areals; allein durchaus irrig würde der hieraus etwa zu ziehende Schluss seyn, daß mit einer Abnahme derselben von hiesigem Amte demselben auch etwa der vierte oder gar noch ein größerer Theil der demselben bisher obgelegenen Geschäfte würde abgenommen werden..." , somit würde auch eine Einsparung an Beamtenstellen in Harburg nicht zu realisieren sein.
Bezüglich des Einflusses auf die Vogtei Tostedt selbst wird demgegenüber ausgeführt:
"Die weite Entfernung derselben vom hiesigen Amtssitze hat wiederum die natürliche Folge, daß der dortige Amtsvoigt eine selbstständigere und unabhängigere Stellung factisch einnehmen kann, als seine übrigen Collegen; dieselbe kann aber deshalb auch zu manchen Misbräuchen Veranlassung geben, zumal der Landmann, sollte er sich auch von dem ihm vorgesetzten Amtsvoigte gekränkt fühlen, zu einer förmlichen Beschwerdeführung schon an sich nicht leicht sich entschließt, und dies um so weniger, wenn die weite Entfernung vom Amtssitze den Antrag und die Verfolgung einer etwaigen Beschwerdeführung ihm schon so sehr erschweret. Daß dergleichen Besorgnisse nicht bloß in der Theorie existieren, hat gerade in substrato die gewissenlose Geschäftsführung des im Zuchthause verstorbenen vormaligen Amtsvoigts Spall zu Tostedt hochbekanntlich nur zu sehr gezeigt, und, wenn wir auch dem zeitigen Amtsvoigte das Zeugniß der strengsten Rechtlichkeit und einer seltenen Raschheit in Ausrichtung der ihm ...(?)enden Aufträge, sowie auch einer richtigen Auffassung und Behandlung der dortigen Eingesessenen im allgemeinen mit dem größten Vergnügen ertheilen, so ist dieser gegenwärtige Zustand doch an die Person eines Einzelnen geknüpft und daher nicht für die Dauer gesichert... Diese schon so oft hervorgehobene Entlegenheit der Voigtey Tostedt ist es dann aber hauptsächlich, welche nicht nur die EIngesessenen derselben ihre Lostrennung vom hiesigen Amte im hohen Grade wünschen, sondern auch von einem höhern und allgemeineren Standpuncte aus eine solche Maaßregel als durchaus angemessen und zweckmäßig erscheinen läßt.... Wenden wir uns nun zu der Frage, wo der Sitz des neuen Amtes zu fixiren seyn würde, so bemerken wir dabey im voraus, wie wir dabey zwar nur die Verhältnisse des hiesigen Amtes im Wesentlichen vor Augen haben können, da die dabey etwa zu berücksichtigenden Verhältnisse des Amts Moisburg uns nicht genügend bekannt seyn können, wie wir aber von unserem Stand-Puncte aus darüber im Mindesten nicht zweifelhaft sind, daß der Sitz des neuen Amtes zweckmäßig nur nach Tostedt zu verlegen sey.
Dieser Ort würde zwar nicht ganz im Mittel-Puncte des neuen Amtes liegen, aber in Ansehung Moisburgs würde dies noch weniger der Fall seyn. Dann aber eignet sich Tostedt in vielen wichtigen Puncten bei Weytem besser zum Amtssitze, als Moisburg. Tostedt hat eine regelmäßige Post-Verbindung, es ist dort eine Land-Gens d«armerie-Section stationirt, es liegt an der in policeylicher Hinsicht so wichtigen Chaussee zwischen Hamburg und Bremen, und von der eben so wichtigen Chaussee zwischen Hamburg und Hannover, so weit sie das Amt Moisburg und die Voigtey Tostedt berührt, wenigstens nirgend über eine Meile entfernt. In Ansehung des Amtes Moisburg trifft keine dieser Rücksichten zu, ohne daß auch eine künftige Abhilfe als möglich oder wahrscheinlich erschiene... endlich berührt die neuelich angelegte Chaussee von Stade auf Welle nicht einmal die Ortschaft Moisburg, läuft vor derselben vielmehr in der Entfernung von wenigstens einer halben Stunde vorüber, und hat jeden Falls zur Zeit noch längst nicht die Bedeutung der beyden anderen gedachten Chausseen, und wird diese auch schwerlich jemals erreichen.
In policeylicher Rücksicht müssen wir auch noch des Uebelstandes erwähnen, der mit der mit der Existenz des gleichwohl gegenwärtig durchaus nicht zu entbehrenden Gefängnisses zu Tostedt verbunden ist. Dieses dient nämlich nicht bloß zur Uebernachtung der auf dem Transporte befindlichen Arrestaten, sondern auch zur einstweiligen Aufnahme der im Districte der Land-Gens d«armerie-Section Tostedt aufgegriffenen Vagabunden pp. welche nicht sofort, sondern erst bey Gelegenheit der gewöhnlichen Correspondenzen in minder wichtigen Fällen zuweilen hierher transportiert werden. Unter diesen Verhältnissen ist es wegen der großen Entfernung der Voigtey Tostedt vom hiesigen Amtssitze nicht zu vermeiden, daß die Bestimmung des ¤30 des Verfassungs-Gesetzes vom 1ten August v. Jahres, nach der Jeder von der Ursache seiner Haft im Allgemeinen binnen 24 Stunden in Kenntniß gesetzt werden soll, in solchen Fällen von uns nicht beobachtet werden kann, - ein Uebelstand, der bey einer Verlegung des Amtssitzes nach Tostedt sich jeden Falls leichter beseitigen lassen würde, als wenn diese zu Moisburg verbliebe..."
Hinsichtlich der Entfernungen sei die von Tostedt nach Moisburg zwar etwas geringer, "dann aber möchte dieser Gewinn für die Eingesessenen der Voigtey Tostedt dadurch leicht aufgewogen werden, daß ihr übriger Betrieb sie selten oder gar nicht nach Moisburg, viel öfter dagegen nach Harburg und Hamburg führt, so daß sie gegenwärtig mit ihren bey dem Amte abzumachenden Geschäften nicht selten die Erledigung anderer Angelegenheiten verbinden können, wogegen jene allein sie stets nach Moisburg führen müßten...
Daß übrigens die Ortschaft Moisburg selbst durch den Verlust des Amtssitzes verlieren würde, scheint allerdings unzweifelhaft zu seyn, doch möchte dieser Umstand allein, wenn die Verlegung desselben nach Tostedt sonst einmal als zweckmäßig und ausführbar anerkannt seyn sollte, einer solchen Maßregel ein unübersteigliches Hinderniß nicht in den Weg legen können, zumal der Ortschaft Moisburg mit dem ihr immer verbleibenden, schon jetzt bedeutenden und an Bedeutsamkeit täglich noch gewinnenden Domanial-Haushalte doch auch manche Vortheile des bisherigen Zustandes verbleiben würden."
Es folgen langwierige Erörterungen darüber, welche Personal- und Baukosten bei einer Neueinrichtung des Amtssitzes in Tostedt zu gewärtigen wären. Das "9 bis 10000 Seelen" umfassende neue Amt müsste mit zwei "wirklichen Beamten", einem "Amtsdiener" und einem "Pförtner" besetzt werden, "und zwar Letzterer wohl um so mehr, als der frühere Plan, die Criminal-Jurisdiction über das Amt Moisburg dem Amte Harburg zu übertragen, bisher nicht zur Ausführung gekommen, nach einem Anschluß der Voigtey Tostedt aber die Criminal- und Policey-Geschäfte als ganz unbedeutend nicht würden betrachtet werden können; doch ließe der Dienst eines Pförtners und Amtsdieners dort sich wohl in Einer Person vielleicht vereinigen...
Von diesen Personen müßte dann aber jeden Falls für zwey Beamten-Familien ein Unterkommen gesichert, und daneben ein Pforthaus nebst Pförtner-Wohnung, nebst Amtsstube und Registratur errichtet werden. Ein Unterkommen der Beamten-Familien läßt sich aber in Tostedt nur durch Errichtung von Official-Wohnungen erreichen, da eine Gelegenheit zu einem Unterkommen durch Wirthe zu Tostedt durchaus nicht vorhanden, und selbst, wenn eine solche von einigen dortigen Eingesessenen wider alles Erwarten auch wirklich geschaffen würde, doch bey dem vorauszusehenden Mangel an jeder Concurrenz in dieser Beziehung eine solche Abhängigkeit der Beamten von ihren Untergebenen dadurch entstehen würde, daß ein solcher Uebelstand auf jede Weise zu beseitigen seyn würde. Die Errichtung von Official-Wohnungen allein dürfte aber nicht genügen, sondern nach der Art, wie die Lebensweise auf dem Lande einmal geführt werden muß, würde damit ein Garten und die Gelegenheit zu einer die eigenen Haushalts-Bedürfnisse befriedigenden Landwirthschaft wohl jeden Falls verbunden werden müssen.
Hierdurch würden allerdings nicht unbedeutende Kosten entstehen; die Eingesessenen der Voigtey Tostedt werden, abgesehn vielleicht von einigen Diensten, Beyträge dazu schwerlich leisten; die Eingesessenen der Dorfschaft Tostedt hatten i.J. 1831 sich erboten, eine gewisse Quantität Mauersteine für diesen Fall zu liefern, und etwa 30 Morgen Haidland abzutreten. Ob diese Anerbietungen überhaupt als irgend erheblich betrachtet werden können, überlassen Wir billig dem höheren Ermessen, und ob jene Eingesessenen diese Anerbietungen gegenwärtig wiederholen würden, getrauen Wir uns, obwohl sie die Verlegung des Amtsitzes dahin noch immer dringend wünschen, und Opfer zu dem Ende daher gewiß gern bringen werden, im Voraus nicht zu bestimmen, da wir dieserhalb gegenwärtig noch keine Verhandlungen darüber mit denselben zugelegt, gerade um in ihnen keine Hoffnungen zu erwecken, deren Erfüllbarkeit wir zur Zeit noch nicht zu übersehen vermögen.Soviel aber müssen wir gehorsamst bemerken, daß die angebotenen 30 Morgen Haidland aus der Gemeinheit damals entnommen werden sollten, seitdem aber nicht nur eine General-Theilung der Gemeinheit, sondern auch eine mit einer Verkoppelung verbundene Special-Theilung der der Dorfschaft Tostedt zugefallenen Abfindung Statt gehabt hat, so daß die Erneuerung dieses früheren Anerbietens jetzt vielleicht auf Schwierigkeiten stoßen möchte. Domanial-Grundstücke übrigens, welche zu den fraglichen Zwecken benutzt werden könnten, sind nicht vorhanden, indem das Domanium dort keine andere besitzt, als etwa 20 Morgen Haidlandes, welches als Abfindung der Weide-Berechtigungen des dortigen Amtsvoigts- und Untervoigts-Dienstes aus der General-Theilung der Todthölzungs-Gemeinheit demselben zugefallen sind, und bey jenen Diensten gegenwärtig genutzt werden..."
Natürlich zeigte sich Moisburg mit den vorgeschlagenen Veränderungen nicht einvertanden, wie ein undatiertes Schreiben (Hann.80 Lbg I 8o5) erkennen lässt:
"An das Hohe Königliche Großbritannisch-Hannoversche Cabinets-Ministerium zu Hannover - Unterthänige Vorstellung und Bitte von Seiten der endesunterschriebenen Eingesessenen im Amte Moisburg, die Beybehaltung des Amts Moisburg und dessen wo thunliche Vergrößerung betreffend."
Es wird auf das Gerücht eingegangen, welches von einigen Tostedtern verbreitet worden sei, dass nicht nur eine an sich wünschenswerte Eingliederung der Vogtei Tostedt in das Amt Moisburg geplant sei, sondern dass Tostedt sich um eine Verlegung des Amtssitzes nach dort bemühen wolle und entsprechende Angebote gemacht habe. Die Moisburger machen dagegen geltend:
"Die Existenz eines Königlichen Amtes zu Moisburg seit Jahrhunderten, verbunden mit dem Umstande, daß seit jeher die Beamten einen bedeutenden oeconomischen Betrieb hatten, ist die Ursache gewesen, daß sich in diesem ursprünglich aus nur einigen großen Bauerhöfen bestandenen Ort, nach und nach eine unverhältnißmäßige Anzahl kleiner Leute niederließ. So enthält jetzt nehmlich das Dorf Moisburg einen Vollhöfener, zwei Halbhöfner, fünf Köthner und einige dreißig Brinksitzer, außerdem aber über fünfzig Häuslinge. Die Brinksitzer sowohl als sämtliche Häuslinge sind ... vom Ackerbau größtentheils ausgeschlossen und lediglich auf den Verdienst durch ihrer Hände Arbeit vermittels ihrer Professionen als Schmiede, Rademacher,Tischler pp. und resp. in Tagelohn beschränkt. Würde das Königliche Amt Moisburg eingezogen oder verlegt werden, so wäre ... eine Verarmung vieler Familien und eine Vermehrung der Bettler unausbleibliche Folge."
Natürlich wird auch auf die längeren Wege als wesentlichen Nachteil für die Ortschaften Moisburg und Elstorf und die dortigen Dörfer hingewiesen, wohingegen für die Tostedter eine Verkürzung des Weges nach Moisburg gegenüber der Entfernung nach Harburg um drei Meilen eintreten würde.
"Indem wir schließlich die unterthänige Bitte auszusprechen uns erlauben, daß Ew. Exellenzen eher zugleich auf eine Verbesserung der hilfsbedürftigen Lage der armen Moisburger neben einer Erleichterung der Eingesessenen der Voigtei Tostedt Bedacht nehmen als zum Nachtheile und auf Kosten sämtlicher Einwohner des Amts Moisburg einzig die an einem der Hauptstraßenzüge des Königreichs belegene fast nur aus Kaufleuten, Branntweinbrennern und Krügen bestehende, für ein Dorf schon jetzt einen ungewöhnlichen Verkehr habende Ortschaft Tostedt zu begünstigen, verharren wir Ew. Exellenzen gehorsamste Unterthanen" (es folgen mehrere Seiten Unterschriften, jeweils mit Berufsbezeichnungen, z.B. Müller, Schuhmacher, Schneider, Bäcker, Schmied, Papiermacher usw., ferner die "Bauermeister" der Dörfer, einschließlich der Dorfschaft Hollenstedt).
28. Sept. 1841, Königl. Hannoversche Domanien-Cammer an die Königl. Landdrostei in Lüneburg.
"Die Sache selbst nun anlangend, so sprechen allerdings erhebliche Gründe für die Vereinigung: die geographische Lage der in Frage befangenen Districte, namentlich der Voigtei Tostedt, die unmittelbare Nähe der Chaussee bei dem in Tostedt zu errichtenden Amts-Etablissement, nicht weniger der Umstand, daß die neuere Gesetzgebung auf die Besetzung jeden Amts mit zwei Beamten immer mehr hinweiset."
Es werden sodann die jeweiligen Kosten betrachtet, wobei auch in Moisburg eine zweite Beamtenwohnung für 6000 Rthl. erforderlich sein würde. Eine Verpachtung der Domanial-Liegenschaften in Moisburg an einen freien Pächter - anstatt wie bisher an den ersten Beamten - würde andererseits von wirtschaftlichem Vorteil für die Königliche Kammer sein und spräche für eine Verlegung des Amtssitzes nach Tostedt.
"Erwägen Wir aber, daß, den Uns vorliegenden früheren Verhandlungen zufolge, die mit dieser Alternative verbundenen Baukosten, abgesehen von der künftigen Unterhaltungs- Last, damals gewiß sehr mäßig zu 18000 Rthl. angeschlagen sind, daß auch in diesem Falle die Fundierung einer neuen Beamten Stelle, ohne Einsparung bei einem anderem Amte, erforderlich werden würde, auch wahrscheinlich der zum neuen Amts-Etablissement nöthige Grundbesitz allererst mit abermaligen Kosten für die Landesherrschaft erworben werden müßte,... so glauben Wir dafür halten zu müssen, daß die durch bessere Benutzung des Amtshaushalts zu erreichenden Vortheile durch den übrigen sehr bedeutenden Kostenaufwand sehr ansehnlich würden überwogen werden..."
27.Jan.1842. "Bericht des Amtes Harburg an die Königlich-Hannoversche Landdrostei zu Lüneburg, Amts-Verwaltungs-Sachen, besonders die Verlegung der Voigtei Tostedt an das Königliche Amt Moisburg betreffend."
Es wird über eine vom Amtsvoigt zu Tostedt durchgeführte Beratung mit den Eingesesenen der Vogtei bzw. mit den Bauernmeistern der Dörfer berichtet. Das in der Anlage befindliche Protokoll lautet u.a. folgendermaßen:
"Nach näherer Erörterung des Zwecks des heutigen Termins erklärten die Bauermeister der Ortschaften Avensen, Dohren, Everstorf, Bötersheim, daß sie für die Verlegung der Voigtei nach Moisburg stimmten, weil ihnen solcher Ort etwa um die Hälfte des Weges näher sey, selbst wenn sie die etwas schlechteren Wege mit in Anrechnung brächten. Der mitanwesende Kaufmann Bostelmann als Halbhöfner in Dohren protestierte gegen den Beschluß der Dorfschaft, unter dem Bemerken, daß ihm keine Nachricht von einer stattgehabten Beratung zugekommen sey. Die Bauermeister der anderen Ortschaften erklärten Namens ihrer Mandanten, daß sie bei Harburg zu verbleiben gedächten, weil sie dort viel besser für ihren Betrieb zu sorgen im Stande wären, auch wenig gewönnen, wenn sie die weitere Entfernung nach Harburg gegen die im Winter fast unzumutbaren Wege nach Moisburg rechneten."
Diese Aussage der Tostedter erscheint etwas überraschend, war es doch Buxtehude - über Moisburg zu erreichen -, wo sich die berühmten Schafmärkte abgespielt hatten, auf denen nach der Überlieferung kein Landmann der weiteren Umgebung fehlen durfte. Offenbar war aber die Schafzucht schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Tostedter Raum so weit zurückgegangen, dass die Buxtehuder Märkte nicht mehr die frühere Bedeutung besaßen.
Der Bericht des Amtes Harburg geht kurz auf die nach dem Votum der Bauermeister immerhin denkbare Möglichkeit ein, wenigstens die Dörfer des Kirchspiels Hollenstedt dem Amte Moisburg zuzuschlagen, doch sei hiervon zum jetzigen Zeitpunkt abzusehen, "weil der Amtsvoigt zu Tostedt, wenn ein so bedeutender Theil seines Districtes ihm abgenommen werden sollte, für den dadurch unzweifelhaft entstehenden Ausfall in seinen Einnahmen entschädigt werden müßte, und das richtige Maß einer solchen Entschädigung nicht leicht aufzufinden seyn dürfte." Die Argumente der überwiegenden Zahl der befragten Dörfer hinsichtlich der engeren Beziehungen zu Harburg - "da ihr Verkehr im allgemeinen sie mehr nach Hamburg zieht ... zumal bei dem in der Chaussee gegebenen vortrefflichen Wege" - werden seitens des dortigen Amtes natürlich besonders hervorgehoben. "Aus diesen Gründen können wir es daher unmaßgeblich für rathsam nicht erachten, gegen den entschieden ausgesprochenen und wahrscheinlich auch auf wesentlichen Gründen beruhenden Wunsch des größten Theils der Voigtei Tostedt deren Vereinigung mit dem Amte Moisburg zu verfügen... Soll eine Veränderung überhaupt hier eintreten, so können wir sie zweckmäßig nur in einer Vereinigung des Amtes Moisburg mit der Voigtei Tostedt und Errichtung des Amtssitzes zu Tostedt erblicken... und wenn, wie es verlautet, die Eingesessenen zu Tostedt mit einem solchen Antrage nochmals hervortreten und zu bedeutend größeren pecunieren Opfern wie bisher sich erbieten wollen, so möchte die als Haupthinderniß einer solchen Maßregel bisher betrachtete, allerdings nicht zu vermeidende Kostspieligkeit derselben an Gewicht gewiß bedeutend verlieren."
29.Mai 1842, Königlich Hannoversche Landdrostei zu Lüneburg:
"Nach fernerweiter Verhandlung mit dem Amte Harburg haben wir die Ueberzeugung gewinnen müssen, daß eine Verlegung der Voigtei Tostedt vom Amte Harburg an das Amt Moisburg unter Beibehaltung des Amtsitzes zu Moisburg dem Interesse der Verwaltung und der Unterthanen so sehr entspreche und bei angemessener Einrichtung auch von so geringen Mehrausgaben begleitet sein werde, daß deren Ausführung nicht wohl unterlassen werden dürfe. Wir haben uns daher für verpflichtet gehalten, durch einen unterm heutigen Datum erstatteten ausführlichen Bericht die Ausführung dieses Projects dem Königlichen Ministerium des Inneren zu empfehlen."
25. April 1842, Königl. Ministerium des Inneren, an die Königliche Landdrostei zu Lüneburg:
"Der Königlichen Landdrostei erwiedern Wir auf den Bericht vom 29. v. M., daß Wir die Trennung der Voigtei Tostedt vom Amte Harburg, obwohl der …rtlichkeit wegen für wünschenswerth, doch nicht für zulässig halten, weil hinsichtlich dieses Bezirks eine andere zweckmäßige Einrichtung nicht getroffen werden kann, ohne daß dadurch zu große Kosten verursacht werden oder andere Nachtheile entstehen, welche bedeutender als die durch jene Maßregel zu erreichenden Vortheile erscheinen. Sollte die Voigtei Tostedt vom Amte Harburg getrennt werden, so müsste sie, was auch die K. Landdrostei als nothwendig ansieht, mit dem Amte Moisburg vereinigt werden. In diesem Falle den Sitz des Amtes nach Tostedt zu verlegen, müssen wir wie im Jahre 1832 und von der K. Landdrostei selbst auch noch jetzt theils des außerordentlich großen Kostenaufwandes wegen, theils aus Rücksicht auf die Eingesessenen des A. Moisburg für unstatthaft achten... Der Verbindung der Voigtei Tostedt mit dem Amte Moisburg, unter Beibehaltung des jetzigen Amtssitzes, stellen sich aber die Bedenken, derentwegen von jener auf Befehl Sr. M. des Königs im J. 1932 abgestanden ist, noch fortdauernd entgegen... Anlangend aber den Widerspruch der Eingesessenen der Voigtei Tostedt, so theilen Wir zwar die Ansicht, daß auch wider deren Willen die Vereinigung des Tostedter Voigteibezirks mit dem A. Moisburg verfügt werden könnte; sind aber der Meinung, daß dazu keine genügende Gründe vorhanden seien; zumal, wenn gleich der jetzige Zustand nicht zweckmäßig ist, doch einerseits die Verhältnisse, welche es veranlassen, daß aus der Voigtei Tostedt dem A. Harburg vergleichsweise wenig Arbeiten erwachsen, auch die Abnahme der Voigtei von diesem Amte weniger dringend machen, wie sie unter andern Umständen sein möchte; und andererseits die große Entfernung von Harburg von der Mehrzahl der Eingesessenen von der Voigtei Tostedt für einen geringeren Nachtheil, als die Verlagerung nach Moisburg, geachtet wird."
VI. Hannoversche Amts- und Gerichtsreformen
Hier schließt sich diese umfangreiche Akte für etwa zehn Jahre: Eine direkte Fortsetzung lässt sich in den Achivalien des Staatsarchivs Hannover zur Zeit nicht finden, vielleicht weil es sich nicht mehr um bevölkerungsorientierte Entscheidungen, sondern um obrigkeitliche Verwaltungsakte "höheren Ortes" gehandelt hat; jedenfalls müssen wir uns jetzt auf die knappe Darstellung des Historikers und auf die Gesetzessammlungen beschränken:
Professor Dr. Günther Franz: Verwaltungsgeschichte des Regierungsbezirks Lüneburg, 1955 (S.81): Nach der Revolution von 1848 kamen weitere Refomvorschläge zum Zuge, so die endgültige Aufhebung der (adligen) Patrimonialgerichte und die Trennung der Justiz von der Verwaltung (bereits in der Verwaltungsnovelle vom 5. September 1849 festgelegt). Auch die Amtsverfassung und die Amtsgrenzen sollten nach Vorschlägen Heinrich Stüves neu festgelegt werden. Die großen Ämter, so auch Harburg, sollten geteilt werden. Dies wurde in der Ersten Amtsreform vom 1. Oktober 1852 gegen Widerstände festgelegt. So entstand u. a. als Doppelamt das "Amt Harburg und Hittfeld zu Harburg", was jedoch schon 1855 wieder aufgehoben wurde. Eine revidierte Amtsordnung von 1859 brachte auch die Bezeichnung Vogt für den bisherigen Amtsgehilfen wieder.
1852 Einordnung der Vogtei Tostedt in das Amt Moisburg.
1859 Verlegung des Amtssitzes des Amtes Moisburg nach Tostedt:
Bezeichnung "Amt Tostedt"
1852 Bildung der Amtsgerichte
Hann 26 a Nr.5449 (Pattensen) - Generalia Behörden, Amtsgerichte.
Gesetz-Sammlung f. d. Kgr. Hannover, Jg. 1852
"Verordnung, die Bildung der Amtsgerichte und unteren Verwaltungbehörden betreffend."
Georg der Fünfte, von Gottes Gnaden König von Hannover, Königlicher Prinz von Großbritannien und Irland, Herzog von Cumberland, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg etc. etc., Monbrillant, d. 7. August 1852: "Vom 1sten October 1852 an sollen die in der Anlage verzeichneten Amtsgerichte und unteren Verwaltungsbehörden (Ämter und Magistrate selbstständiger Städte) bestehen."
III. Landdrosteibezirk Lüneburg
A. Verwaltungsbezirke (lfd. Nr.)
29. Amt Moisburg, umfaßt
a) das jetzige Amt Moisburg
b) vom jetzigen Amt Harburg die Gemeinden der Voigtei Tostedt: Avensen, Bötersheim, Campen, Dohren, Everstorf (mit Callmoor, Hollinde und Vaerloh), Groß-Tolshorn (sic) (mit Klein-Tolshorn,Hassel), Handorf (mit Höckel und Wörme), Lauenbrück, Lohbergen, Ochtmannsbruch, Otter (mit Schillingsbostel, Riepshof, Knick), Seppensen, Steinbeck mit Meilsen, Todtglüsingen (mit Hoinkenbostel, Langeloh, Neddernhof), Tostedt mit Wüstenhöfen, Welle, Wistedt (mit Quellen), Wümme.
B. Amtsgerichte (lfd. Nr.)
28. Amtsgericht Tostedt, begreift das Amt Moisburg.
Gesetz-Sammlung f. d. Kgr. Hannover, Jg. 1859
Hannover, 27ten März 1859: Verordnung, die Bezirke der unteren Verwaltungsbehörden betreffend.
"Nachdem in Folge der mit dem 1sten October 1852 eingeführten Trennung der Verwaltung von der Rechtspflege auch in der untern Instanz eine veränderte Eintheilung der Verwaltungsämter nach den inzwischen gemachten Erfahrungen als nothwendig sich gezeigt hat, so verordnen Wir darüber das Nachfolgende:
1.) Es sollen die in der Anlage verzeichneten Verwaltungämter bestehen.
A. Verzeichnis der Verwaltungsämter
III. Landdrostei Lüneburg
57. Amt Tostedt, umfaßt
a. das jetzige Amt Moisburg
b. von dem jetzigen Amte Salzhausen die Gemeinde Holm
B. Verzeichnis der Amtsgerichte
VI. Amtsgerichtsbezirk Lüneburg
50. Amtsgericht Tostedt, umfaßt
a. das jetzige Amtsgericht Tostedt
b. von dem jetzigen Amtsgerichte Salzhausen die Gemeinde Holm
VII. Tostedts erster Amtsrichter
Soweit die obrigkeitlichen Beschlüsse! Wie aber sah es "vor Ort" aus? Nur kurze Einblicke erlauben uns die mehr oder weniger zufällig erhalten gebliebenen oder zur Zeit auffindbaren Archivalien. Geradezu dramatisch (oder auch tragisch) zu nennen sind die Vorgänge, die sich mit dem ersten Richter des gerade gegründeten Amtsgerichts in Tostedt verbinden. Es handelt sich um eine relativ umfangreiche Personalakte des Richters Dr. Kuntze, obgleich (oder gerade weil) dieser nicht einmal ein Jahr lang diese offenbar schwierige Stellung inne hatte. Die Akte gibt aber auch Auskunft über die Tostedter Verhältnisse aus dem Blickwinkel eines von auswärts kommenden Zeitgenossen und soll daher hier auszugsweise wiedergegeben werden.
Staatsarchiv Hannover-Pattensen, Hann. 26 a Nr. 5567
(Akten über Dr. Heinrich Philipp Kuntze)
Heinrich Philipp Kuntze, Dr. jur., stammte aus Duderstadt und hatte in Göttingen studiert und promoviert. Als damaliger Stadtsyndicus in Osterode und 47 Jahre alter Familienvater hatte er sich um eine Anstellung als hannoverscher Amtsrichter beworben, wobei er darum ersucht hatte, in der Nähe seiner Heimat, dem Harzgebiet, und - nicht zuletzt wegen der Schulmöglichkeiten der Kinder - möglichst auch in einer städtischen Gemeinde bestallt zu werden. Beides war ihm leider nicht beschieden, vielmehr erhielt er am 12. August 1852 die Bestallungsurkunde "als Amtsrichter bei dem mit dem 1. October d. J. eintretenden Amtsgerichte Tostedt unter Beilegung der Titels Amtsrichter und einer Besoldung von (jährlich) Achthundert Thalern."
Damit nahm das unerfreuliche Schicksal seinen Lauf! In der vorgedruckten Bestallungsurkunde sind alle Punkte, eine sonst wohl durchaus übliche Dienstwohnung betreffend, sowie alle weiteren möglichen Zulagen oder Vergünstigungen weggestrichen worden. Offenbar verfügte das neue Gericht in Tostedt über keine adäquate "Infrastruktur"! Dr. Kuntze musste sehen, wie er zurecht kam.
Anfang Mai 1853 wird "höheren Ortes" eine ausführliche Stellungnahme zu einem Ersuchen des Tostedter Amtsrichters um einen Urlaub von 14 Tagen zwecks einer Reise zu seinem vormaligen Wohnort Osterode, wo auch seine Mutter lebte, abgegeben. Im Hinblick auf seinen schlechten körperlichen und geistigen Zustand wird diese Reise zu Pfingsten zwar befürwortet, jedoch nur unter der Bedingung, dass eine Vertretung aus Harburg oder Winsen zu beschaffen sein werde. Der Berichterstatter weist darauf hin, dass er bereits im März eine rigorose Maßnahme zur "Entlastung" des offenbar überforderten Richtes Kuntze hatte ergeifen müssen: Es "ist nämlich der Amts-Gerichts-Assessor Dr. Wachsmuth von Winsen nach Tostedt entsendet und hat dort bereits eine Menge Rückstände, über welche Beschwerden laut geworden waren, entweder selbst erledigt, oder doch die Erledigung durch den Amtrichter Kuntze bewirkt. Den Mitteilungen desselben zufolge, waren die erheblichen Rückstände beseitigt und kam es hauptsächlich nur noch auf Abnahme einiger Vormundschaftsrechnungen und die Ordnung der gänzlich verwirrten Registratur an, zu welchem Ende derselbe um die Ermächtigung bat, seinen eigenen tüchtigen Actuar aus Winsen ab auf einige Tage mit nach Tostedt nehmen zu dürfen, weil der Actuar Schulze daselbst zu jenem Geschäfte ganz unbrauchbar sei."
Man fühlt sich ein wenig an die Zustände erinnert, die in dem Lustspiel "Der zerbrochne Krug" Heinrich von Kleists so unnachahmlich dargestellt werden: Der erschrockene Dorfrichter eilt vor der kurzfristig anberaumten Revision in die Registratur mit den Worten: "Die Aktenstöße setz« ich auf, denn die, die liegen wie der Turm zu Babylon:"
Ob Dr. Kuntze den Urlaub bekommen hat, geht aus den Unterlagen nicht hervor. Dafür findet sich unter dem Datum des 21. Mai 1853 ein langer und recht kläglicher Brief des Richters an die vorgesetzte Justizbehörde, in welchem er inständig um eine Versetzung an eine zur Zeit vacante Amtsrichterstelle zu Liebenburg bittet, unter anderem finden sich darin die folgenden aufschlussreichen Passagen: "Die dienstlichen Verhältnisse in Tostedt, insbesondere unter anderem der Umstand, daß der dasige Amtsrichter angewiesen ist, auch alle 8 bis 14 Tage Gerichts- und Sprechtage in dem 2 1/2 Meilen entfernten Moisburg zu halten, erfordern unumgänglich eine dauerhafte Gesundheit, ohne welche derartige Strapazen, namentlich zur Winterszeit, platterdings nicht erträglich sind..." Seine Gesundheit sei jedoch nach einer kürzlich durchgemachten langwierigen Erkrankung noch immer angegriffen. "Ein Ohr-Rheumatismus, an welchem ich außerdem leider ! seit vielen Jahren laboriere, ist durch das feuchte Klima und die steten Reisen in der flachen Tostedter Gegend verschlimmert worden..." Die folgenden Zeilen des Versetzungsgesuches an eine ferne Behörde lassen eine wirkliche Verzweiflung erkennen: "Auch meine gute Frau vor allem und meine Kinder vermögen sich durchaus nicht an das Tostedter Klima zu gewöhnen, sehnen sich fortwährend schmerzlich wieder nach den heimatlichen Bergen und bitten mit mir fußfällig inständigst sie wieder näher nach ihrem Geburtsorte - Osterode - gelangen lassen zu wollen."
Wollte man Dr. Kuntze dennoch in Tostedt halten? Immerhin wurde vom 1. Juli 1853 an sein Jahresgehalt auf 1000 Thaler erhöht.
Doch schon am 20. Juli erging ein vernichtender Bericht der Staatsanwaltschaft des Königlichen Obergerichtes zu Lüneburg, betreffend: Amtsgericht Tostedt. "Amtsrichter Dr. Kuntze, früher Stadtsyndicus in Osterode, ist für seine jetzige Stelle gar nicht geeignet. Der Bezirk ist zu groß für ihn, die ländlichen Rechtsverhältnisse in dieser Provinz sind ihm neu und fremd; er versteht, abgesehen von einer gewissen Gehörschwäche, die Sprache der Leute nicht, und ist mit Widerwillen nach Tostedt gegangen. Ohne ihm eine gründliche juristische Bildung, welche ihm beigemessen wird, und selbst einen gewissen Grad von Fleiß absprechen zu wollen, ist die Lage der Geschäfte des Amtsgerichts Tostedt doch eine keineswegs erfreuliche." Nach Darstellung einiger Einzelheiten einer mangelhaften Amtsführung und verzögerter Gerichtssachen, aber auch unter Berücksichtigung der familiären Verhältnisse, gelangt der Gutachter zu dem Schluss, "die Versetzung des Amtsrichters Kuntze an ein Amtsgericht von geringerem Umfange oder an ein mit mehreren Richtern besetztes Gericht, wo möglich in einer der südlichen Provinzen des Königreiches" zu beantragen, und er setzt noch hinzu: "In Tostedt hat er nur mit Mühe eine nothdürftige Familienwohnung gefunden und ist durch diese und andere ihm nicht zusagenden Verhältnisse von vornherein verstimmt worden. Ich empfehle dringend auf seine baldige Versetzung Bedacht zu nehmen, nur so ist ihm und dem Dienste auf zu helfen."
Mit dem 18. September 1953 wurde Dr. Kuntze nach Elbingerode am Harz versetzt, "dem kleinsten Gericht im hiesigen Obergerichtsbezirk, das nur eine geringe Zahl an Civilgerichtssachen und eine kaum erhebliche Zahl an Strafsachen liefert." Was folgt, hat nun mit Tostedt nichts mehr zu tun. Doch wird von menschlichem Interesse sein, dass Dr. Kuntze auch in seiner neuen Wirkungsstätte bald durch Krankheit und Leistungsdefizite aktenkundig wurde. Immerhin blieb er dort einige Jahre, erhielt 1858 sogar eine Gehaltsaufbesserung auf zwölfhundert Thaler, doch ein Jahr später wurde er gegen seinen Willen vorzeitig auf ein "Wartegeld von 800 Thalern gesetzt", also entlassen. In der letzten Akte des "Kuntze-Konvolutes" im Staatsarchiv erscheint er als Bürgermeister in Elbingerode, gegen den wegen "Dienstvernachlässigung" disziplinarisch ermittelt wird.
VIII. Amtsgericht Tostedt, die frühen Jahre
Soweit die kurze gemeinsame Geschichte des bedauernswerten Amtsrichters Dr. Kuntze und der Gemeinde Tostedt. Im Hof- und Staats-Handbuch für das Königreich Hannover liest sich das völlig undramatisch, und auch die menschlichen Verhältnisse und die individuellen Schicksale der Nachfolger Kuntzes gehen in einer rein amtlichen Statistik auf und können von uns mangels entsprechender Unterlagen nicht nachvollzogen werden.
Hof- und Staats-Handbuch für das Königreich Hannover (bis 1865)
Staats-Handbuch für Hannover (1867)
Handbuch für die Provinz Hannover (ab 1870)
(Archiv Stade, freundliche Hinweise von Herrn Dr. Hoffmann)
Auszüge der Bände 1850-1874, unter Landdrostei Lüneburg, die jeweiligen personellen Veränderungen betreffend.
Amts-Gerichte
(unter Justiz-Verwaltung ab 1853 verzeichnet)
1853 Amts-Gericht Tostedt 1357 W (Wohnungen), 8976 E (Einwohner)
Dr. Heinr. Phil. Kuntze, Amts-Richter
(zum Vergleich Amts-Gericht Winsen a.d.Luhe 1841 W, 14916 E
Hoh. Jac. Gerdes, Amts-Richter
Dr. Carl Ludw. Otto Wachsmuth, Amts-Gerichts-Assessor.
1854 Amts-Gericht Tostedt 9551 E
Herm. Wuthmann, Amts-Gerichts-Assessor
1859 Amts-Gericht Tostedt 10101 E
Ottomar Heyne, Amts-Gerichts-Assessor *
J. C. T. Praetorius, Actuar
J. F. W. Linkelmann, Gerichtsvogt
* 1861 Ottomar Heyne, Amts-Richter
(1865, 1870 ohne Veränderungen)
1874 Amts-Gericht Tostedt
Wuthmann, Amts-Richter
Lüders, Amtssekretär
Ratzeburg, Actuar
Linkelmann, Gerichtsvogt
IX. Amt Tostedt 1859 - 1885
In denselben Hof- und Handbüchern finden wir übrigens die Ämter mit dem jeweiligen Beamten verzeichnet. Hier spiegeln sich die bereits dargestelten Verhältnisse wider, dass nämlich zunächst das Amt Moisburg erhalten blieb, sogar eine Vergrößerung erfahren hatte, indem ihm 1852 die alte Vogtei Tostedt mit einem neuen Hausvogt Meyer zugeordnet worden war; dessen Titel war anfangs noch Vogt zu Moisburg. Anscheinend gab es in Tostedt die Person eines Amts-Assessors, zuletzt ein Herr Marheincke, der 1859 "mit der einstweiligen Verwaltung des Amtes betraut" wurde. So undramatisch, fast beiläufig vollzog sich der damals verordnete Wechsel, der die beteiligten, aber nun wohl nicht mehr befragten Orte Tostedt und Moisburg in sehr unterschiedlicher Weise betreffen und verändern sollte. Natürlich drängt sich auch die Annahme auf, dass der (vermutliche) Freitod des letzten Moisburger Amtmanns, Carl von Hinüber, am 26. Januar 1859 mit diesen Verwaltungsreformen in einem ursächlichen Zusammenhang stand.
Hof- und Staats-Handbuch für das Königreich Hannover (bis 1865)
Staats-Handbuch für Hannover (1867)
Handbuch für die Provinz Hannover (ab 1870)
Ämter
1850 Amt Moisburg 776 W (Wohnungen), 5052 E (Einwohner)
Carl Anton Ludwig von Hinüber, Amtmann, K.Com.
Georg Christian Albrecht König, sup. Amts-Assessor
Unter Amt Harburg: J. H. D. Müller zu Tostedt, Av.
(ebenso 1851, 1852 - jeweils das Vorjahr betreffend)
1853 Amt Moisburg 1357 W, 8976 E
Carl Ant. Ludw. von Hinüber, Amtmann, a. Abl. Com.
H. C. H. W. Cohrs, Amts-Gehülfe
A. W. H. Meyer, Hausvogt, Vogt zu Moisburg
(Tostedt kommt unter Amt Harburg nicht mehr vor)
1854 Amt Moisburg 1462 W, 9551 E
Carl Ant. Ludw. von Hinüber, Amtmann
Carl Christ. Ludw. Bode, Amts-Assessor *
H. C. H. W. Cohrs, Amts-Gehülfe
A. W. H. Meyer, Amtsvogt, Vogt zu Tostedt
1855/1856 * Hans Victor Ernst von Einem zu Tostedt, Amts-Assessor
1857 * Heinr. Ferd. Marheinecke zu Tostedt, Amts-Assessor
1859 Amt Tostedt 1588 W, 10101 E
H F Marheinecke, Amts-Assessor, mit einstweiliger Verwaltung des Amts beauftragt.
A. W. H. Meyer, Amtsvogt, Vogt zu Tostedt
H. W. Cohrs, Amtsvogt, Vogt zu Moisburg
1863 Amt Tostedt 1636 W, 10484 E
Heinr. Wilh. Dieterichs, Amtmann
A. W. H. Meyer, Amtsvogt, Vogt zu Tostedt *
H. W. Cohrs, Amtsvogt, Vogt zu Moisburg
*1864 C. C. A. Lemke
1867, 1870 Ämter nicht verzeichnet.
1874 Kreis Harburg
mit Amt Harburg 21122 E, Amt Winsen a.d.L. 19346 E, Amt Tostedt 10803 E, Stadt Harburg 16500 E, Stadt Winsen a.d.L. 2735 E.
1874 Amt Tostedt
Dieterichs, Amtshauptmann
Lüders, Amts-Sekretär
X. Wie man Amtsbediensteter wurde
Preußisch knapp, ohne Vornamen, ist der letzte Amts-Sekretär unserer Liste verzeichnet, doch fanden wir eine Akte, welche ein Licht auf die Auswahl und die Voraussetzungen der Bestallung eines solchen Beamten in einem Amt wie dem Tostedter wirft.
Hann 80 Lüneb. I, Nr. 2215: Landdrostei Lüneburg, Amt Tostedt. Bestallungssachen: Voigte
Acta betr.: Die Anstellung des Voigts Lemke zu Tostedt (1864/65)
In einem Schreiben vom 20. Juli 1864 ging es um die "Wiederbesetzung der durch das Ableben des Amtsvoigts Meyer erledigten Vogtsstelle zu Tostedt". Es war offenbar üblich, in einem solchen Falle bei der Militärverwaltung nachzufragen, ob eine geeignete Person unter den vom Militärdienst zu Entlassenden zur Verfügung stände. Das war offenbar der Fall, es lag sogar eine tabellarische Aufstellung vor, aus welcher die Dienststellen eine Auswahl treffen konnten.
In dieser "Namentlichen Liste der zu Civilstellen empfohlenen Unteroffiziere etc." wurde, begleitet von einem eigenhändigen Lebenslauf und einem militärdienstlichen Zeugnis, vorgeschlagen: Der Guide Carl Conrad Adolph Lemke, geb. am 24. 12. 25 zu Stemmen, Amt Linden. In dem Zeugnis, ausgestellt am 15. April 1864 in Hannover von einem Gen. Lieut. von Sichart, Chef des Generalstabes, heißt es unter anderem über den Anwärter:
"Früherer Standschmied. Verheiratet seit 1852, hat unversorgte Kinder. Lutherisch. Dient seit 1. Juli 1846, mithin 17 Jahre 8 1/ 2 Mt. Jährliche Diensteinnahmen 350 Rthl. Er ist durchaus gesund und wenn auch etwas corpulent, doch körperlich sehr gewandt. Bei den verschiedenartigsten Aufträgen, die ihm zu Theil geworden, hat er stets gezeigt, daß er zu großen körperlichen Anstrengungen wie zu sitzender Lebensweise gleich geeignet ist, und daß weder das Eine noch das Andere seiner vortrefflichen Gesundheit irgendwie geschadet hat." Es wird sein besonderes handwerkliches und organisatorisches Talent hervorgehoben. Weiter heißt es in dem Zeugnis: "Kann aus eigenen und fremden Mitteln bis zu 3000 Rthl. Caution bestellen. Hat keine Schulden. Wünscht vorzugsweise eine Anstellung als Amtsvoigt. Bildet sich zum Amtsvoigt aus vom 15. Juni bis 15. September 1864 bei Amtsvoigt Meyer in Vahrenwaldt."
Schon am 5. September wurde Lemke bei dem Kgl. Amte Tostedt mit 300 Rthl. Jahresgehalt angestellt. Seine Amtseinführung erfolgte am 22. September 1864, aber schon im Januar 1865 wurde er - wegen seiner hervorragenden technischen und handwerklichen Befähigung - als Deichvoigt im Amte Verden bestallt.
Hann. 80 Lüneb. I, Nr. 2216
Acta betr.: Die Bestallung des Amsvoigts Lüders zu Tostedt (1865/68-1883)
Der in Lüneburg dienende Stabswachtmeister Johann Heinrich Christian Lüders, geb. 1823 in Hönze, Amt Gronau, wird von seinem Regiment-Commandeur hinsichtlich seiner äußeren Umstände, seiner gesundheitlichen Konstitution und nicht zuletzt hinsichtlich seines "moralischen Lebenswandels" folgendermaßen beurteilt:
"Verheiratet seit 1858, hat zu versorgende Kinder. Lutherisch. Dienst seit 1841. Kräftig, nie krank gewesen. Gewöhnt an sitzende Lebensweise. Fähig zu anstrengenden Fußtouren. Ist frei von Streit-, Trunk- und Spielsucht. Besitzt allgemeine Bildung; die Handschrift ist schön und correct; besitzt die Fähigkeit einen Aufsatz othographisch richtig und gut stylisiert selbständig abzufassen; verhandelte Gegenstände faßt derselbe sehr rasch und sicher auf und hat ein vorzügliches Gedächtnis. Ist sehr gewandt in Führung von Listen, Verzeichnissen und Rechnungen; Dienstgeschäfte erledigt er rasch und genau, besitzt viel Energie und Ruhe. Kann aus eigenen Mitteln 500 Rthl. Caution leisten. Ist zum Amtsvoigt ausgebildet."
Merkwürdigerweise dauerte es drei Jahre, nämlich bis 1868, bis Lüders - nach einem Vorstellungsgespäch bei Amtsmann Dieterichs - seinen Dienst in Tostedt mit einem Anfangsgehalt von 500 Talern antreten konnte; schon ein Jahr später wurde die Besoldung auf 600 Taler erhöht. Lüders versah seinen Dienst offenbar über etliche Jahre zur Zufriedenheit, denn fast regelmäßig erfolgten weitere Gehaltsaufbesserungen, so 1878 auf 2550 Mark. Im Jahre 1879 wurde ihm ein "Nebendienst als Amtsanwalt" bzw. als "Rechnungsführer der dortigen Amts-Nebenanlagen-Kasse" zugebilligt. Das Grundgehalt war 1882 auf jährlich 3147 Mark gestiegen, als Lüders langwierig erkrankte, sich dauerhaft vertreten lassen musste und am 21. 1. 1883 verstarb.
Das Ende des Amtes Tostedt
Die Bedeutung des Amtes Tostedt und damit die besondere Verwaltungsfunktion unseres Ortes verminderte sich schon 1867 mit der Bildung von Kreisen für Militär- und Steuerfragen, so dem Kreis Harburg (Städte Harburg, Winsen, Ämter Harburg, Tostedt, Winsen). Das selbständige Amt Tostedt wurde 1885 im Rahmen der Neubildung von Stadt- und Landkreisen aufgelöst. Der Landkreis Harburg setzte sich nun aus den Ämtern Harburg und Tostedt, der Kreis Winsen aus Amt und Stadt Winsen zusammen.
XI. Das Gericht bleibt in Tostedt
Im Gegensatz zum Amt blieb das Amtsgericht Tostedt auch nach 1885 in seiner ganzen Ausdehnung erhalten, und sicherlich ließen sich die Verhältnisse, besonders die Personallisten, bis in unsere Zeit verfolgen. Das kann jedoch nicht das Ziel der vorliegenden Untersuchung sein. Hier seien nur einige Jahrgänge des späteren 19. Jahrhunderts beispielhaft angeführt (1880, 1886, 1890).
Personalliste der Gerichte und Staatsanwaltschaften im Bezirk des Königlichen Oberlandesgerichts zu Celle.
Tostedt, Amtsgericht, Bezirk Landgericht Stade
Beschreibung 1880:
"Der Bezirk des Amtsgerichts umfaßt aus dem Kreise Harburg: das Amt Tostedt
Gerichtstage werden in Moisburg monatlich zweimal abgehalten.
Mit Vertretung des nur mit 1 Richter besetzten Amtgerichts ist der jüngste Amtsrichter in Harburg beauftragt."
1886: "das bisherige Amt Tostedt mit 11222 Gerichts-Eingesessenen"
1890: "das frühere Amt Tostedt, mit Ausnahme der zum Amtsgericht Harburg gehörigen Gemeinde Fischbeck, mit 10264 Gerichts-Eingesessenen"
Personalliste 1880 mit den 1886 und 1890 verzeichneten Veränderungen:
Amtsrichter: Nöldeke (1890 von Borries)
Amtsanwalt: Lüders, Amtssekretär (1886, 1890 Lübbers, Sparkassen-Rechnunsgsführer)
Rechtsanwälte: In der Rechtsanwaltliste ist keiner eingetragen, auch wohnt kein Rechtsanwalt in Tostedt.
Gerichtsschreiber: Ratzeburg, Sekretär (1886, 1890 Korsch, Sekretär)
Gerichtsvollzieher: Linkelmann (1886 Gröne, 1890 Grützbach)
Gerichtsdiener: Henning (1886, 1890 Ecke)
Unter den verzeichneten Berufen und Personen fallen uns - außer dem schon bekannten ehemaligen Stabswachtmeister Lüders - zwei Namen auf, von denen wir in anderem Zusammenhang etwas gehört bzw. gelesen haben.
Fast gleichzeitig mit der Etablierung des Gerichtes und Amtes Tostedt waren nämlich weitere Institutionen in Tostedt gegründet worden, die der damaligen Zentralfunktion des aufstrebenden Ortes entsprachen. Zu nennen sind die Apotheke (um oder schon vor 1852), der Landwirtschaftliche Verein Tostedt (1852 resp. 1860) und die Sparkasse (1855/1858). Teils schon bei der Gründung, teils in der weiteren Gestaltungen der beiden letztgenannten, für den ländlichen Raum so wichtigen Einrichtungen waren Bedienstete des Amtsgerichts maßgeblich beteiligt.
Kreissparkassendirektor R. Zwiener: "100 Jahre Sparkasse zu Tostedt", Harburger Kreiskalender 1958, berichtet: Unter dem Ortsvorsteher Wicke beschloss die Gemeinde Tostedt schon 1855, eine Sparkasse zu errichten, die für den gesamten Amtsbezirk Moisburg zuständig sein sollte. Der Kaufmann Justus Bostelmann, war wohl der eifrigste Verfechter der Idee und trug diese auch dem Amt Moisburg vor. Es musste jedoch erst mit der Landdrostei geklärt werden, ob und unter welcher Satzung eine solche Einrichtung überhaupt genehmigt werden konnte. Die Gründung konnte daher erst mit dem 1. Oktober 1858 wirksam werden. Hier tritt uns nun der Gerichts-Sekretär Lübbers als gewählter Rechnungsführer entgegen, nachdem sein Vater eine Kaution von 500 Thalern hinterlegt hatte. Er diente der Tostedter Sparkasse - als ihr erster Leiter - 47 Jahre lang, von 1858 bis 1905. Erwähnenswert ist ein weiterer Umstand im Zusammenhang mit der Sparkassengründung: Die erste Sitzung legte fest, dass Vorsitzender des Vorstandes der in Tostedt wohnende Beamte des Amtes Moisburg zu sein hätte. Das war der Amtmann Dieterichs, der jedoch in ausführlichen Berichten darlegte, dass diese Aufgabe mit seinem Hauptamt nicht vereinbar sei. Er wurde schließlich durch einen Erlass des Königlich-Hannoverschen Ministeriums von dem Vorsitz entbunden, der von J. Bostelmann übernommen wurde. Weitere Gründungs- und Vorstandsmitglieder waren der Apotheker Wicke und der Arzt Dr. med. Kaiser aus Tostedt sowie der Halbhöfner Blohm aus Grauen.
(Justus Bostelmann, "der alte Dieckhoff", tauchte bei unseren Archiv- und Literaturstudien immer wieder auf. Sein Wirken in und für Tostedt wäre einer besonderen Darstellung würdig. Hier kann auf einen emphatischen Auf- bzw. Nachruf des Gerichtssekretärs und Sparkassenleiters Lübbers verwiesen werden, die als Anhang I wiedergegeben ist.)
Ein anderer uns in der Liste der "zweiten Generation" von Gerichtsbediensteten auffallender Name lautet Korsch. Pastor Hans Tegtmeyer:"Das erste Tostedter Buch", Nachrichten von Hermann und Erika Heft 5, 1983, berichtete über den Vater des in Tostedt geborenen, bekannten Schriftstellers und Politologen Karl Korsch Folgendes: Carl Korsch stammte aus Ostpreußen, erfuhr dort eine Ausbildung zum Justizbeamten im Subalterndienst, war dann an verschiedenen Amtsgerichten angestellt (Bartenstein, Wreschen, Friedland, Hameln) und kam schließlich als Amtsgerichtssekretär nach Tostedt, wo er in den Jahren 1881 bis 1897 als "etatsmäßiger Gerichtsschreiber" am Amtsgericht tätig war. Mit 28 Jahren, 1884, gab Korsch im Selbstverlag Tostedt ein "Handbuch des Gemeinen Privatrechts für Gerichtsschreiber, Justizanwärter und Privatpersonen" heraus, das 365 Seiten umfasste, über dessen Aufnahme und Verbreitung jedoch nichts bekannt geworden ist. Die Hoffnungen, die Carl Korsch an dieses Handbuch geknüpft haben mag, nämlich auf Beförderung an ein zentraleres und wichtigeres Gericht, da er sich schriftlich ausgewiesen und eine recht große Familie, nämlich sechs Kinder, zu verorgen hatte, haben sich jedenfalls nicht erfüllt. 1893 baute Korsch in Tostedt ein eigenes Haus (Ecke Waldstraße/Triftstraße), aber vier Jahre später nahm er eine Stelle am Amtsgericht Lüchow, wenig später an einer Bank in Thüringen an. Sein Haus verkaufte er an einen Gerichtsdiener H. Koppelmann, der in unserer Liste noch nicht verzeichnet ist. Immerhin haben wir hier ein wenig Einblick gewonnen in die persönlichen Umstände und die Wohnverhältnisse der "subalternen" Gerichtsbeamten.
Die Amtsrichter selbst hatten vermutlich - von dem bedauernswerten Dr. Kuntze abgesehen - bessere und standesgemäße Wohnungen beziehen können. Immerhin gab es in Tostedt auch für diese "Respektpersonen" noch jahrzehntelang Probleme mit der Wohnraumbeschaffung, wie einem als Anhang IV auszugsweise wiedergegebenen Aktenbündel aus dem Gemeindearchiv, Tostedt-o7-23-012, zu entnehmen ist. Es geht darin um den Bau bzw. die Finanzierung der noch heute vorhandenen ehemalige Amtsrichter-Villa an der Ecke Kastanienallee / Poststraße. Die Akten aus den 80er und 90er Jahren des 19. Jahrhunderts geben interessante Einlicke in die damaligen Tostedter Verhältnisse; die Gemeinde musste unter Androhung einer Rückverlegung des Gerichts nach Moisburg zum Bau des dann doch recht großzügig und repräsentativ ausgefallenen Gründerzeit-Hauses gezwungen werden. Bis 1956 wurde es von der Familie des Amtsrichters Weithoener bewohnt. Später diente das Gebäude mit einem 1963 errichteten Saalanbau als Außenstelle des Amtsgerichts. Da sich das Haus im Eigentum der Samtgemeinde Tostedt befindet, wurde dort die Bücherei eingerichtet, jetzt beherbergt es Apotheke, Arztpraxis und Geschäftsräume.
Der erste aktenkundige Mieter der Villa, Amtsgerichtsrat Dr. Wilhelm Vahrenhorst, eine weithin bekannte Perönlichkeit, war von 1907 bis 1912 sogar Reichstags-Abgeordneter in Berlin. Dirk Stegmann: "Der Landkreis Harburg 1918-1949", Hamburg 1994: "Tostedt war damals eine der Hochburgen der Freikonservativen Partei im Landkreis Harburg, und Vahrenhorst in der Region als Agrarfachmann und Interessenvertreter der Landwirtschaft durchaus populär." Sein großes Ansehen in Tostedt wird Vahrenhorst vor allem durch den langjährigen Vorsitz im Landwirtschaftlichen Verein Tostedt erworben haben. Über Letzteren berichtet Dr. Karl Fischer: "100 Jahre Landwirtschaftlicher Verein Tostedt", Harburger Kreiskalender 1960: Zur Verbesserung der Landwirtschaft im Königreich Hannover war u. a. 1830 in Uelzen ein "Provinzialverein" ins Leben gerufen worden. Auf Anregung des Tostedter Gutsbesitzers Huth kam es 1852 in Nenndorf zur Gründung des Landwirtschaftlichen Vereins für die Ämter Harburg und Moisburg. "Im Jahre 1853 hatte der Verein bereits 70 Mitglieder. Nachdem aber die Versammlungen in Tostedt, Moisburg und Nenndorf abwechselnd abgehalten wurden, verminderte sich die Mitgliederzahl. Es wurde deshalb der Antrag gestellt, den Verein nach Tostedt zu verlegen und ihm den Namen "Land- und Forstwirtschaftlicher Filialverein Tostedt" zu geben. Am 19. Oktober 1860 erkannte der Provinzialverein Uelzen diesen Beschluß an. Seit dieser Zeit nahm die Zahl der Mitglieder ganz bedeutend zu." Auch in diesen Vorgängen kann man die Sogwirkung des damals aufstrebenden Zentralortes Tostedt erkennen.
Die Liste der Vorsitzenden des Landwirtschaftlichen Vereins enthält neben anderen wiederum einige Namen, die wir aus den Personallisten des Amtes bzw. Gerichtes Tostedt kennen: …konomierat v. Hinüber, Moisburg, Amtshauptmann Dieterichs, Tostedt, sowie Rendant H. Lübbers, Tostedt. Dr. Vahrenhorst hatte dieses Amt am längsten inne, nämlich 1900-1922 und 1924-1931. Er muß ein arbeitsamer Mensch gewesen sein - und ein vielseitig interessierter zugleich! Wir folgen hier Klaus R. Rose: "Hermann Löns und die Vogelwelt von Tostedt", Nachrichten von Hermann und Erika, Heft 15, 1991: "Unser Heidedichter Hermann Löns ist, was die meisten wohl nicht in dieser intensiven Form vermutet hätten, von frühester Jugend an Naturforscher gewesen... Aus seiner Veröffentlichung über "Die Wirbeltiere der Lüneburger Heide" (abgedruckt in: Jahreshefte des naturwissenschaftl. Vereins Lüneburg XVII, 1907) erfahren wir, daß Löns mit Dr. Vahrenhorst aus Tostedt einen regen Schriftverkehr geführt haben muß. Da Löns ihn in seinem Aufsatz mehrere Male zitiert, ist davon auszugehen, daß sie sich persönlich kannten und vielleicht auch besucht haben... Es wird Dr. Vahrenhorst nachgesagt, daß er, wie Löns, ein passionierter Waidmann war, darüber hinaus ein guter Naturbeobachter und excellenter Vogelkenner."
XII. Das Amts- und Gerichtsgebäude
"Auf die von Seiten des Königl. Amts Moisburg im Auftrage der Königl. Landdrostei Lüneburg den unterzeichneten Ortsvorstehern und Amtsvertretern am 10ten d. M. gemachte Eröffnung, die von der vormaligen Voigtei Tostedt ausgelobten Zuschüsse zu den Baukosten des Amts- und Amtsgerichts-Baues zu Tostedt betreffend, haben dieselben, nach eingeholter Genehmigung iihrer Gemeinde, folgendes zu erwiedern," so beginnt ein (leider undatiertes) Schreiben, welches der Archivar der Samtgemeinde Tostedt, Herr Kurt Herdecke, kürzlich entdeckt hat. Die 18 Unterzeichner erklären also: "Die von uns ausgelobten Beiträge sind nur unter der Bedingung zugesichert, daß Tostedt der Sitz nicht allein der Gerichts-, sondern auch der Verwaltungsbehörde werde ... Es ist indeß keineswegs unsere Absicht, die Zahlung der versprochenen Beiträge bis zur stattgehabten Verlegung des Verwaltungs-Amts nach Tostedt zu verweigern, vielmehr sind wir gern bereit, die Gelder in zwei Terminen etwa zu Michaelis und Weihnachten d.J. an den Ortsvorsteher Hr. Apotheker Wicke zu Tostedt und selbst wenn es verlangt wird, sogleich durch eine zu beschaffende Anleihe einzuzahlen, wenn uns nur die Zusicherung ertheilt wird, daß nach Herstellung des Baues die Verlegung des Amts sofort beschafft werden soll." - Wie den weiteren umständlichen Ausführungen der Ortsvorsteher zu entnehmen ist, war damals die Ansiedlung des Amtes in Tostedt noch immer heiß umstritten, selbst mit der Möglichkeit einer (Rück-)Verlegung des Amtsgerichts nach Moisburg war anscheinend zu rechnen. Ob die ausgelobte Summe von 2000 Reichsthalern für das Ergebnis letztlich entscheidend war, wissen wir nicht.
Wie war nun die Baulichkeit, in der sich das Tostedter Gericht und schließlich auch die Amtsverwaltung etablieren konnten, entstanden und beschaffen? Leider verlassen uns die Achivalien in dieser Hinsicht fast vollständig; vemutlich sind diese wichtigen Unterlagen durch Kriegseinwirkungen in Hannover oder Pattensen, wohin sie ausgelagert worden waren, verloren gegangen. Zwar steht das Gebäude des Amtsgerichts heute äußerlich noch so da, wie es einst entworfen und erbaut worden ist; das gilt auch hinsichtlich der Farbgebung, die durch ein umfangreiches Gutachten ermittelt und restauriert wurde. Im Inneren haben die jüngst durchgeführten Modernisierungs- und Umbaumaßnahmen zwar den mit Sandsteinplatten ausgelegten ehemaligen Hauptflur bewahrt, im Übrigen aber erhebliche Veränderungen mit sich gebracht, die die ursprüngliche Funktion der einzelnen hohen, von großen Rundbogenfenstern erhellten Räume kaum noch erkennen lassen.
Wie war die Aufteilung zwischen den Räumlichkeiten des Gerichtes und der Verwaltung des Amtes Tostedt? Letztere war jedenfalls bis zu ihrer Verlegung an die Kreisverwaltung in Harburg in diesem Gebäude gleichberechtigt untergebracht.
In welchem Teil des Hauses befand sich ferner von 1858 bis 1895 die Tostedter Sparkasse? R. Zwiener schreibt dazu: Bei einer amtlichen Prüfung wurde 1892 beanstandet, "daß die Sparkassengeschäfte im sogenannten Schöffenzimmer, welches viel zu klein sei, durchgeführt werden, und daß die Sparkasse ihre Tätigkeit einstellen müsse, wenn der Herr Amtsrichter dieses Schöffenzimmer für Zeugenvernehmungen benötige... Graf von Bothmer, eines der damaligen Mitglieder des Vorstandes, weist in seinem Bericht an den Regierungspräsidenten auf die Vorteile hin, welche die Unterbringung der Sparkasse im Gerichtsgebäude dem Publikum biete, und bittet, von einer den bisherigen Zustand abändernden Verfügung Abstand zu nehmen." Immerhin überließ 1895 der Kaufmann Arnold Bostelmann der Kasse ein Gebäude auf seinem Grundstück, das 1911 durch das imponierende historistische Bauwerk am Himmelsweg ersetzt wurde. So konnte die von Tostedter Bürgern kurz vor der Jahrundertwende ins Leben gerufene Winterschule im Erdgeschoss des Amtsgerichts für einige Jahre bis zum Bau des jetzigen Rathauses in der Schützenstraße (1907) Quartier nehmen.
Aus der Anfangszeit konnten wir nur eine Archivalie auffinden, in der das Amts- und Gerichtsgebäude in Tostedt Erwähnung findet:
Hann 74 Tostedt Nr. 136
Acta betr.: Bauwerke, welche auf Kosten des Domanii zu erhalten sind (Amt Tostedt, 1864)
Die aufgelisteten herrschaftlichen Gebäude standen ganz überwiegend in Moisburg, u.a. "die Domanial-Gebäude", die damals ebenso wie die "Mühlen-Gebäude" ausschließlich wirtschaftlichen Zwecken dienten. "Das Amtsstellen-Gebäude nebst der Amtsdiener-Wohnung", beide ebenfalls in Moisburg, "wird vom Amte und Amtsgerichte Tostedt gemeinschaftlich benutzt als Gerichtslokal."
Für Tostedt selbst wird 1864 lapidar nur "Das Amts- und Gerichts-Gebäude zu Tostedt" genannt.
Auch dies also nur eine spärliche Auskunft! Wir wissen leider nur allzu wenig über das Gebäude! Nicht einmal das genaue Baujahr ist gesichert. Die Annahme, das Gebäude sei vor oder mit der Etablierung des Tostedter Amtsgerichtes, also spätestens 1852, vorhanden gewesen, ist zwar nach heutigen Vorstellungen naheliegend, ist jedoch mit Vorsicht zu betrachten, wenn wir uns an die Verhältnisse erinnern, die der erste Amtsrichter Kuntze in Tostedt vorgefunden zu haben scheint. Nach R. Zwiener war das "Amtshaus" ein Jahr vor der Gründung der Sparkasse, also 1957 errichtet worden. War der Bau also in Hinblick auf die geplante Verlegung des Amtes Moisburg durchgeführt worden? Die Archivalien lassen uns leider völlig im Stich. Das scheint auch anderen so gegangen zu sein. So konnte Clemens Klemmer: "Staatsbauten in Niedersachsen, dargestellt am Beispiel der Justiz - Katalog, Quellen und Literatur", Hannover 1991 (frdl. Hinweis von Herrn Bernd Adam, Berenbostel), auf S.105 lediglich registrieren: "Amtsgericht Tostedt, Baujahr 1852/54, Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 72 Tostedt." Dort sind jedoch keine diesbezüglichen Unterlagen archiviert; weitere Hinweise, etwa auf den Architekten, auf die Einrichtung der Amtsstuben, auf den Gefangenenraum, die Wohnungen der Justizbeamten und Ähnliches, fand Klemmer, anders als für andere Ortschaften, offenbar nicht.
Ein Baubestandsbuch über das Amtsgericht Tostedt (Staatshochbauamt Lüneburg, 1963) enthält neben einigen eindrucksvollen Winterfotos (Jan. 1958) eine knappe Beschreibung zur "Bauweise", die - in mancher Hinsicht nicht ganz korrekt - folgendermaßen lautet (Aktenauszug 1963): "Das Amtsgerichtsgebäude ist als zweigeschossiges, der spätere Anbau als dreigeschossiges Gebäude vorhanden und ist insgesamt unterkellert. Der Altbau (um 1852) einschließlich Treppenhaus ist als damaliges preußisches Amtsgericht erstellt. Der Anbau des dreigeschossigen Teiles erfolgte 1956. Sämtliche Geschosse sind aus Ziegelsteinen hergestellt und als Putzbau ausgeführt. Die Kellergeschoßdecken des Altbaues sind als Gewölbe, die des Anbaues als Stahlbetondecke ausgebildet. Sämtliche Geschoßdecken sind als Holzbalkendecken erhalten, mit Ausnahme des Grundbuchgewölbes, hier besteht die Decke aus preußischen Kappen mit (Doppel-T) Trägern. Das Dach des Altbaues ist mit Schiefer (heute leider mit roten Pfannen, Verf.), der spätere Anbau mit Dachpappe eingedeckt."
Ferner liegen einige Etagen- bzw. Raumpläne von 1963 vor, die auch den schon vorhandenen hinteren Anbau umfassen. In letzterem waren zwei Kellerräume als "Zellen" eingerichtet, daneben lagen merkwürdigerweise zwei Räume mit der Bezeichnung "Stall". Der Keller des Haupthauses enthielt neben Heizung und Waschküche vor allem einen großen "Aktenkeller" unter dem mit Sandsteinen ausgelegten Flur. Im Erdgeschoss des Haupthauses lag links vom Flur ein Sitzungssaal mit Beratungszimmer, rechts befanden sich die Räume des Grundbuchamtes. Das Obergschoss beherbergte wie heute hauptsächlich Büroräume, doch befand (und befindet) sich auch hier auf der linken Seite ein (etwas kleinerer) Sitzungssaal. Im Bodenraum des Zeltdaches mit der markanten Dachstuhlkonstruktion befand sich 1963 - wie auch heute noch - der Aktenraum.
Hinsichtlich der architektonisch-stilistischen Einordnung des Hauptgebäudes verweisen wir auf die als Anhang II wiedergegebene bauhistorische Analyse von Dr. ing. Wulf Rumpel: "Das Amtsgerichtsgebäude zu Tostedt im Landkreis Harburg", Nachrichten von Hermann und Erika, Heft 20, 1996. Auf Grund historischer Überlieferungen und stilgeschichtlicher Vergleiche macht der Autor deutlich, dass das Gebäude vermutlich von einem der prominentesten Vertreter der Hannoverschen Architektenschule, dem Hofbauinspektor Christian Heinrich Tramm, entworfen wurde, und zwar in dem von ihm zu einer besonderen Ausprägung gebrachten "Hannoverschen Rundbogenstil". Einer der großartigsten und architekturhistorisch wichtigsten Bauten Tramms ist das Welfenschloss in Hannover, heute das Hauptgebäude der Universität. Als Bauzeit wird 1857 und folgende angegeben, also just die Jahre der mutmaßlichen Errichtung des Tostedter Gerichts. Der Formensprache Tramms entspricht der nahezu würfelförmige Baukörper, die symmetrische Fassade mit den romanischen Bögen nachempfundenen Öffnungen und das flach geneigte Zeltdach mit den überhöhten Ecksäulen. Zu ergänzen wäre, dass Tramm aus Harburg stammte, wo sein Vater Amtsbaumeister war, und mit dem Tostedter Gebäude eine heimatliche Verbundenheit zum Ausdruck gebracht haben mag. Tostedt verdankt dem damaligen Architekten jedenfalls ein außergewöhnliches, qualitätsvolles, gestalterisch aufwändiges und entschieden ortsbildprägendes Bauwerk, das seiner vorgesehenen Funktion seit 150 Jahren gerecht wird. Dass dieses Haus auch nach den notwendigen Erweiterungen und Modernisierungen der jüngsten Zeit seinen historischen Zeugniswert und seine großartige Ausstrahlung behalten konnte, dafür ist allen Beteiligten ein hohes Lob auszusprechen.
XIII. Der Tostedter Hof
Unmittelbar neben dem prächtigen Putzquaderbau des Amtsgerichtes - heute durch einen modernen Verbindungstrakt mit diesem verbunden - steht ein kaum viel kleineres, aber durch einen "altertümlichen" Stil, nämlich Fachwerk, abgesetztes Haus, dessen Bezeichnung in der Bevölkerung noch immer einhellig lautet: Der Tostedter Hof. Nicht nur die heutige gemeinsame Nutzung verbindet dieses Gebäude mit dem Gericht, vielmehr lassen sich weit zurückreichende gemeinsame Wurzeln dieser beiden Gebäude aufzeigen.
Bald nach der Fertigstellung der Napoleonstraße am südlichen Rande Tostedts wurden dort mehrere Häuser gebaut, überwiegend Gasthäuser. Zu den Gründern einer solchen neuen Stelle an der "Chaussee" gehörte auch ein J. Bostelmann, in den Akten als "Alter Neubauer" bzw. Brinksitzer geführt. Auf dem erhaltenen Torsturz der ehemaligen Grotdör, der Dieleneinfahrt, kann man noch entziffern "Anno 1816". Der landläufige Name der Stelle soll "Lütten Joost Hus" gewesen sein. Es handelte sich jedoch keineswegs um ein kleines Haus, vielmehr sehen wir ein mit ca. 13 mal 25 Metern recht großes und wandhohes Gebäude vor uns, dessen sogenannte "Vierständerbauweise" in jener Zeit in der Nordheide noch ungebräuchlich und eigentlich nur oberschichtlichen Häusern, wie Vogt- und Pastorenhäusern, vorbehalten war. Es dürfte sich also bereits bei seiner Ersterbauung um ein Gebäude mit einer Spezialfunktion gehandelt haben, dessen Straßenseite in ganzer Länge mit Fenstern für Wohnräume - und nicht für die sonst dort üblichen Stallungen - versehen war. In dieser Hinsicht muss einer im Auftrag des Staatshochbauamtes Oldenburg-Süd 1995 angefertigten, ansonsten sehr sorgfältigen und umfassenden Bauhistorischen Untersuchung, Tostedt - Unter den Linden 21 - "Tostedter Hof", Arbeitsgruppe Altstadt, Braunschweig widersprochen werden: Es hat sich nicht um ein typisches Bauernhaus gehandelt!
Weitere Einzelheiten hierzu können dem als Anhang III beigegebenen Aufsatz Ulrich Klages: "Der Tostedter Hof", Nachrichten von Hermann und Erika Heft 23, 1999, entnommen werden. Als Ergänzung zu diesem Bericht sei eine kritische Anmerkung gestattet. Bei der jüngst erfolgten Restaurierung ist im Außenbereich eine Farbuntersuchung durchgeführt worden, die nach meiner Kenntnis für den Erstzustand des Fachwerks eine helle Farbe - mit leichter blaugrauer Tönung - ergeben hatte. Bei der jüngsten Restaurierung ist leider aus mir unbekannten Gründen eine unhistorische Farbgebung - mit gedunkelten Fachwerkhölzern - gewählt worden. Die ältesten Fotos aus der Zeit um die Jahrhundertwende lassen die freundliche und für die Nordheide auch typische Hellfarbigkeit des großen Fachwerkgebäudes eindeutig erkennen.
Die Zweigeschossigkeit, die den Tostedter Hof auch heute noch so markant erscheinen lässt, ist allerdings das Ergebnis eines späteren Umbaus. Leider erbrachte die dendrochronologische Untersuchung des Bauholzes zwar für das Erdgeschoss die Bestätigung der inschriftlich angegebenen Bauzeit 1816, kam aber hinsichtlich der Aufstockung nicht zu einer gesicherten Datierung. Auch eine farbrestauratorische Analyse von gemalten Innendekorationen des oberen Saales und von diversen Tapetenresten (Peter Furmanek, Untersuchung auf historische Polychromie, 1995) konnte diese Umbauphase zeitlich nicht wesentlich eingrenzen. Nach bautechnischen Gesichtspunkten und unter Berücksichtigung historischer Überlieferungen geht das o. g. bauhistoriche Gutachten von einer Aufstockungsmaßnahme um oder bald nach 1840 aus.
Was war damals geschehen? Auf der anderen Straßenseite hatte sich wohl gleichzeitig mit oder kurz nach dem "Alten Neubauer" Bostelmann der "Alte Neubauer" Diedrich Gerlach angesiedelt. Seine Gaststätte hatte ihren landläufigen Namen "Britisch Tavern" oder "Brits Hus" nach einem im 18. Jahrhundert hier ansässig gewordenen abgedankten englischen Soldaten erhalten. Als spätere Eigentümer ist wiederum die Familie Gerlach verzeichnet. 1840 heiratete ein pensionierter Gendarm und Kaufmann namens Völcker ein. Dieser erwarb die gegenüber liegende Bostelmannsche Stelle, den späteren Tostedter Hof. Er soll es gewesen sein, der das Stockwerk mit einem Festsaal und weiteren Fremdenzimmern aufsetzen ließ. Vielleicht geschah dies aber erst in dem uns hier besonders interessierenden zeitlichen und auch ursächlichen Zusammenhang mit der Etablierung des Tostedter Amtsgerichtes, denn Völcker war es auch, der ein unmittelbar angrenzendes Grundstück der Behörde als Geschenk überlassen hatte, damit dort das jetzige Gerichtsgebäude errichtet werden konnte. Er wird sich wohl von dieser Wohltat auch für sich etwas versprochen haben. Immerhin blieb sein Gasthaus für gut hundert Jahre eines der ersten Häuser am Platze, wozu die Nachbarschaft des von vielen Auswärtigen aufgesuchten Gerichtes und des Amtes sicherlich beigetragen haben wird. Es war übrigens nicht sicher feststzustellen, wann die Bezeichnung "Tostedter Hof" aufgekommen ist; vor dem ersten Weltkrieg jedenfalls lauteten die hübschen Jugendstil-Anzeigen für die "gut eingerichteten Lokalitäten nebst großem Saal, Kegelbahn und idyllischem Garten" auf den Namen "Stöver«s Hotel Unter den Linden".
In den letzten Jahrzehnten allerdings war es mit der Gastwirtschaft bergab gegangen, wozu mehrfache Pächter- oder Besitzerwechsel, aber auch die veränderten Verkehrsverhältnisse beigetragen haben dürften. Wenn sich trotz großer Bedenken, technischer Schwierigkeiten und kaum überschaubarer Kosten die Erhaltung, die Restaurierung und der Umbau in nutzbare Funktionsräume des Tostedter Amtsgerichtes sozusagen im allerletzten möglichen Augenblick noch verwirklichen ließen, so ist dieses ein großer Gewinn für das traditionelle Ansehen des Gerichts, für das gefährdete Ortsbild Tostedts und für das geschichtliche Bewusstsein der jetzigen und folgender Generationen.
Abbildungen
Titel: Fassadenausschnitt, gelb unterlegt, Titel: Sonderheft zum 150jährigen Jubiläum des Amtsgerichts Tostedt
Abb.1: "Gruss aus Tostedt", Stövers Hotel und Amtsgericht auf einer Postkarte von Louis Voss, Stelle, Poststempel 1905
Abb.2: "Bosselmanns Hus", einer der alten Höfe des uralten Dorfkerns an der jetzigen Buxtehuder Straße (undatierte Postkarte)
Abb.3: Die mittelalterliche Tostedter Kirche. Auf dem Kirchplatz soll die Gerichtsversammlung der Todthölzungen zusammengetreten sein.
Abb.4: Die älteste Karte der Vogtei Tostedt aus dem Atlas des Fürstentums Lüneburg von Dr. Johannes Mellinger, um 1600
Abb.5: Die ehemalige Amtsvogtei in der Diekhofstraße, später bekannt als "Dat Kloster", kurz vor dem Abbruch, Foto Birgit Gerhard, März 1970
Abb.6: Blick in die Diele des ehemaligen Vogthauses oder Freihofs, Zeichnung von albert Bartels, mit freundl. Genehmigung von Frau Irmgard Kludas
Abb.7: Der Huthsche Hof (Posthalters Hus), die Umspannstation auf dem Wege von Hamburg nach Bremen, war eng mit der Geschichte der Vogtei verbunden.
Abb.8: "Charte des Departements der Elbmündungen", Jahrbuch Hamburg 1812. Deutlich erkennbar ist Tostedts Lage an der im Bau befindlichen "Napoleon-Chaussee".
Abb.9: Moisburg mit dem Schloss und der Gerichtsstätte, Stich von Matthäus Merian in seiner Topographia Germaniae 1654
Abb.10: Ablehnungsbescheid des "Königl. Cabinets-Ministeriums" über die "projectierte Vereinigung der Aemter Moisburg und Harburg" vom 1.August 1831
Abb.11: Der "Diekhoff", Tostedts erstes Kaufhaus mit Brennerei. Sein Inhaber, Justus Bostelmann, war ein Verfechter der Amtsverlegung nach Tostedt.
Abb.12: 1823 hatte der Kaufmann Johann Wilhelm Huth sein Geschäft, "Neien Hus", an der neuen Überlandstraße gegründet, heute Kaufhaus Bade.
Abb.13: J. W. Huth entwarf auch das damals sehr moderne Pfarrhaus am Himmelsweg, ein weiterer Meilenstein in der Ortsentwicklung Tostedts.
Abb.14a-c: Protokoll einer Abstimmung der Bauermeister betr. "Verlegung der Amtsvoigtei Tostedt an das Amt Moisburg" vom 24. Januar 1842
Abb.15: "Sneders Hus" gegenüber vom Tostedter Hof mit Wohnräumen an der Diele; so könnte die Familie des Dr. Kuntze gewohnt haben.
Abb.16: Um 1850 gründete Christoph Wicke aus Wustrow die Apotheke. Als Ortsvorsteher war er maßgeblich an der Sparkassengründung beteiligt.
Abb.17: Die Tostedter Sparkasse hatte ihre Räume zuerst im Amtshaus, später in diesem von Justus Bostelmann erbauten Hause am Himmelsweg.
Abb.18: Carl Korsch, von 1881 bis 1897 "etatmäßiger Gerichtsschreiber" beim Amtsgericht, verlegte sein "Handbuch des Gemeinen Privatrechts..." in Tostedt.
Abb.19: Amtsgerichtsrat Dr. Vahrenhorst, Reichstagsabgeordneter, langjähriger Vorsitzender des Landw. Vereins Tostedt - und Kenner der heimischen Vogelwelt
Abb.20: Eines der ersten Lichtbilder des Tostedter Amtsgerichts mit der Allee von Kastanien und Linden. Postkarte von Wilh. Matthies, Tostedt
Abb.21: Aufnahme von Januar 1958 im Baubestandsbuch über das Amtsgericht Tostedt, Staatshochbauamt Lüneburg 1963
Abb.22: Stövers Hotel Tostedt "Unter den Linden" wirbt 1906 mit großem Saal, Kegelbahn und idyllischem Garten sowie Telefon Nr.3.
Abb.23: Um 1920 saß man dort weiterhin in "gut eingerichtete Lokalitäten", wenn auch der Pächter gewechselt hatte.
Abb.24: Auch noch in den dreißiger Jahren herrschte reger Betrieb am Tostedter Hof, nicht zuletzt durch die Tanksäulen.
Abb.25: Verkopplungskarte von Tostedt aus dem Jahr 1928, Ausschnitt. Vom Verf. markiert: "Brits Hus", der Tostedter Hof und das spätere Gerichtsgrundstück
Abb.26: Entwurf des Verbindungstraktes zwischen dem alten Amts- und Gerichtsgebäude und dem ehemaligen Tostedter Hof
Abb.27: Ein kopfsteingepflasterter Hof und eine gelungene Verbindung von "Alt und Neu", Foto Marion Peschko, 1997
Anhang
I.
Ad. Lübbers: "Tostedt sonst und jetzt." Generalanzeiger für den Amtsgerichtsbezirk Tostedt und die Kirchspiele Buchholz und Hittfeld am 12. August 1904
II
Dr. Ing. Wulf Rumpel: "Das Amtsgerichtsgebäude zu Tostedt im Landkreis Harburg." Nachrichten von Hermann und Erika, Heft 20, 1996, S. 52-56
III
Dr. Ulrich Klages: "Der Tostedter Hof." Nachrichten von Hermann und Erika, Heft 23, 1999, S. 34-40
IV
Archivalien über die Amtsrichter-Villa der Gemeinde Tostedt, 1886-1919. (Archiv der Samtgemeinde Tostedt)
Anhang IV
Archivalien über die Amtsrichter-Villa der Gemeinde Tostedt, 1886-1919
Herrn Kurt Herdecke, dem Archivar der Samtgemeinde Tostedt, verdanken wir die Kenntnis eines kleinen Aktenpakets (Archiv Nr. TOS-07-23-012), in welchem es um die Notwendigkeit und die Planung einer Dienstwohnung für den hiesigen Amtsrichter ging. Das heißt, es ging (wie fast immer bei solchen Gemeindeakten) in erster Linie um die Kosten. Wenn auch über die Bauausführung selbst nichts aufzufinden ist, so geben die Anschreiben und Protokolle doch interessante Einblicke in die seinerzeitigen gesellschaftlichen Verhältnisse. Sie lassen auch erkennen, wie unsicher damals der Standort des Amtsgerichts in Tostedt war: Seine Gefährdung lag vor allem in dem beschränkten baulichen Bestand. Eine ganz ähnliche Situation ergab sich etwa hundert Jahre später erneut und führte zur "notgedrungenen", aber letztlich erfolgreich verlaufenen Restaurierung und Erweiterung unserer Gerichtsgebäude.
5. Juli 1886. Königliches Amtsgericht, Bericht betreffend
Errichtung einer Dienstwohnung für den hiesigen Amtsrichter
"An den Herrn Präsidenten und den Herrn Ersten Staatsanwalt des Königlichen Landgerichts zu Stade.
Als vor etwa 8 Jahren bei meiner Verheirathung die Nothwendigkeit an mich herantrat, mich nach einer Familienwohnung umsehen zu müssen, blieb mir keine andere Wahl, als die Wohnung zu beziehen, welche ich noch jetzt habe, weil eine andere, auch nur einigermaßen passende Wohnung hier im Orte nicht vorhanden ist.
Diese Wohnung war bereits derzeit in schlechtem Zustande und befindet sich jetzt in einem solchen Zustande, daß ein längeres Wohnen darin fast zur Unmöglichkeit wird. Außerdem ist die Wohnung auch entschieden ungesund und zu klein.
Der Eigenthümer des Hauses will sich zu den nothwendigen Reparaturen durchaus nicht verstehen. Allerdings könnte ich denselben ja im Wege der Klage hierzu zwingen, ich würde dadurch aber nur erreichen, daß er mir zum nächsten Termin kündigte.
Schon vor langer Zeit habe ich den Hauseigenthümer aufgefordert, die ihm einzeln bezeichneten dringenden Reparaturen vornehmen zu lassen. Da dieses alles nichts half, so ersuchte ich denselben vor einiger Zeit, "die in desolatem Zustand befindliche Wohnung" einer genauen Besichtigung zu unterziehen und das Erforderliche zur Abstellung der Mängel anzuordnen.
Bei der hierauf erfolgten Besichtigung erklärte jedoch der Eigenthümer sämmtliche Reparaturen für überflüssig und gab ferner die Erklärung ab, daß er Reparaturen im Innern des Gebäudes prinzipiell nicht übernehme, obwohl der zwischen uns abgeschlossene Mietvertrag die ausdrückliche Bestimmung enthielt: die nothwendigen Reparaturen trägt der Vermiether.
Da ich die Wohnung in ihrem jetzigen Zustande unmöglich weiter bewohnen kann, so erklärte ich dem Vermiether, daß, wenn er sich auf nichts einlassen wolle, mir nichts anderes übrige bleiben werde, als mich nach einer anderen Wohnung umzusehen, worauf derselbe mir sofort auf Michaelis d. J. kündigte. Unter den obwaltenden Umständen sah ich mich genöthigt, diese Kündigung anzunehmen.
Allerdings ist es mir jetzt nach vielfachen Verhandlungen gelungen, ein anderweitiges Abkommen zu treffen, wonach ich bis Michaelis 1887 wohnen bleiben kann, jedoch nur unter Bedingungen, welche mir Opfer auferlegen, welche ich auf die Dauer nicht zu ertragen vermag. Wäre dieses Abkommen nicht zu Stande gekommen, so würde ich Michaelis d. J. auf die Straße gesetzt werden, da, wie gesagt, eine andere Wohnung hier absolut nicht zu haben ist.
Allerdings ist durch den kürzlich erfolgten Tod des Amthauptmannes a. D. Dieterichs hier dessen Wohnung in so weit frei geworden. Die jetzige Eigenthümerin der Wohnung hat mir aber wiederholt bestimmt erklärt, daß sie die Wohnung unter keinen Umständen vermiethen wolle und ist also hierauf nicht zu rechnen.
Da nun der hiesige Amtsrichter solchen Eventualitäten, welche sich noch dazu alle 1/2 Jahr wiederholen können, nicht ausgesetzt werden darf und doch jedenfalls dafür gesorgt werden muß, daß derselbe eine passende gesunde Wohnung bekommt, so wird nichts Anderes übrig bleiben, als auf Herrichtung einer Dienstwohnung für den hiesigen Amtsrichter Bedacht zu nehmen und erlaube ich mir deshalb die gehorsamste Bitte,
baldmöglichst die Herrichtung einer Dienstwohnung für den hiesigen Amtsrichter veranlassen zu wollen.
gez. Nöldeke"
Stade, den 14. Juli 1886. Der Präsident und Erste Staatsanwalt des Königlichen Landgerichts. An das Amt Harburg
Harburg, 17. Juli 1886. Amt Harburg, der Landrath, gez. Moritz
"nebst Anlage an den Herrn Gemeindevorsteher Kröger, Tostedt, zur Verhandlung mit der Gemeindevertretung und Berichterstattung"
Das Schreiben nimmt Bezug auf den Bericht und die Bitte des Amtsrichters Nöldeke und fährt fort: "Ew. Hochwohlgeboren ersuchen wir ergebenst, mit der Gemeinde Tostedt darüber gefälligst in Kommunikation treten zu wollen, ob sie bereit sei, für die Beschaffung einer angemessenen Wohnung für den Amtsrichter in Tostedt ihrerseits zu sorgen. Wir bemerken ergebenst, daß die Justizverwaltung schwerlich geneigt sein wird, der auf Herstellung einer Dienstwohnung gerichteten Bitte des Amtsrichtes Nöldeke näher zu treten und daß im Falle der Weigerung der Gemeinde Tostedt, für Beschaffung einer angemessenen Familienwohnung für den dortigen Amtsrichter zu sorgen, möglicherweise die Verlegung des Sitzes des Amtsgerichts Tostedt nach einem anderen Orte - etwa Moisburg - in Frage kommen kann."
Geschehen Tostedt den 3. November 1886
"Es war auf heute eine Gemeindeversammlung berufen zum Zwecke Berathung bezw. Beschlußfassung über Herstellung einer Amtsrichter-Wohnung seitens der Gemeinde... Es wurde der Versammlung mitgetheilt, daß der hiesiege Amtsrichter sich darüber beschwert habe, daß er keine Wohnung habe und daß in Folge dieser Beschwerde der Gemeinde aufgegeben sei, eine passende Wohnung herzustellen, wiedrigenfalls die Verlegung des Amtsgerichts von Tostedt in Frage kommen könne. Die Versammlung beschloß gegen 10 Stimmen, eine angemessene Wohnung für den Amtsrichter auf Kosten der Gemeinde herzustellen. Sodann wählte die Versammlung eine Commission von 10 Mitgliedern, bestehend aus:
1. Gemeindevorsteher Kröger, 2. Rendant H. Lübbers, 3. Kaufmann Schröder, 4. Halbhöfner Jobmann, 5. Maurermeister Oltzen, 6. Zimmermeister Behrens, 7. Tischlermeister Bostelmann, 8 Rentier Justus Bostelmann, 9. Gastwirth J. Matthies, 10. Vollhöfner Foth -
mit der Vollmacht, die Herstellung einer angemessenen Wohnung zu bewerkstelligen, sei es durch Neubau, Ankauf oder auf sonstige Weise."
Tostedt 17./12.86. An Königliches Landrathsamt Harburg
Mit einer Unterschriftenliste wird das rechtmäßige Zustandekommen des Ratsbeschlusses über die Erstellung einer Amtsrichterwohnung für eine Summe "bis zu 12000 M" bestritten. "Die Stimmenmehrheit bei der Versammlung wurde nur dadurch erzielt, daß die vielen hiesigen Anbauer und sogar Häuslinge mitstimmten, und den größeren Besitzern nur eine Stimme, gleich den Uebrigen, gewährt wurde. Obgleich von verschiedenen Seiten der Antrag gestellt wurde, daß durch Stimmzettel nach dem gesetzlichen Modus abgestimmt werden sollte, so wurde dies nicht befolgt. Wäre obiges befolgt, so würde sicher die Mehrheit der Stimmen dagegen gestimmt haben. Daher weigern wir uns zur Beihilfe resp. zum Bau des Hauses, und erklären den neulichen Beschluß für ungültig."
Es seien hier nur die Berufe der Unterzeichner dieser Beschwerde genannt: Gutsbesitzer (1), Vollhöfner (5), Halbhöfner (5), Köthner (5), Neubauer (29), Abbauer (10), Schuhmacher (2), Bäcker (2), Schuster, Schlachter,Drechsler, Viehhändler, Bäcker, Schneider, Klempner, Stellmacher, Kürschner, ohne Angabe (je 1).
Harburg, den 29. Januar 1887, der Kreisausschuß des Landkreises Harburg, gez. Goeschen
An Herrn Gutsbesitzer Huth und Genossen zu Tostedt
Abschrift an Herrn Gemeinde-Vorsteher Kröger Hochwohlgeboren
Das Schreiben enthält die amtliche Feststellung, "daß der am 3. November von der dortigen Gemeindeversammlung gefaßte Beschluß ...nach der uns eingereichten Originalverhandlung ordnungsgemäß zu Stande gekommen ist. Nach den bestehenden Bestimmungen haben die Voll- und Halbhöfner, sowie die Einkommensteuerpflichtigen 3 Stimmen für die Beschlußfassung der der ganzen Gemeinde vorbehaltenen Angelegenheiten, die Köthner und die zu den höheren Stufen beschriebenen Klassensteuerpflichtigen 2 Stimmen, alle übrigen Einwohner incl. der Häuslinge 1 Stimme; hiernach ist verfahren. Eine schriftliche Abstimmung ist nicht vorgesehen."
Amtsrichter Nöldeke kam in seiner Amtszeit leider nicht mehr in den Genuß einer von ihm so intensiv erbetenen bzw. angemahnten Dienstwohnung. Sein Nachfolger von Borries mußte mit den berechtigten Forderungen erneut und sehr energisch bei der Gemeinde vorstellig werden.
Tostedt, den 31. August 1891. Königliches Amtsgericht, gez. von Borries
An Herrn Gemeindevorsteher Joachim Kröger Wohlgeboren
"In Sachen, betreffend die Amtsrichterwohnung, ersuchen wir ergebenst, baldmöglichst einen Beschluß der Gemeindevertretung darüber herbeizuführen,
1. ob die Gemeinde Tostedt bereit ist, auf ihre Kosten eine gesunde und ausreichende Wohnung für den hiesigen Amtsrichter herzustellen,
2. ob die Wohnung bis Michaelis 1892 zur Benutzung bereit gestellt sein wird,
3. welche Mieth-Vergütung die Gemeinde für die Benutzung der hergestellten Wohnung beansprucht.
Den Inhalt des gefaßten Beschlusses bitten wir, uns bis zum 30. September d. J. mitzutheilen.
Das Haus muß eine gesunde hohe Lage haben, es muß in massiver Bauart errichtet werden, unterkellert sein, vier Stuben, drei Kammern, Küche, Speisekammer, Waschküche, Boden enthalten; ferner ist ein neben dem Hause liegender Garten in Größe von einem Morgen erforderlich. Der jährliche Miethzins darf 400 M. nicht übersteigen; es ist wahrscheinlich, daß nicht mehr als der Betrag des 360 M. ausmachenden Wohngeldzuschusses bewilligt werden wird.
Sobald die Herstellung einer Amtsrichterwohnung entschieden sein wird, sind wir bereit, über Bauplatz und bauliche Einrichtung mit der Gemeindevertretung weiter zu verhandeln und das Ergebniß dieser Verhandlung der Justizaufsichtsbehörde zur Genehmigung vorzulegen."
Tostedt, 21. September 1891. Königliches Amtsgericht, von Borries
An den Herrn Gemeindevorsteher J. Kröger Wohlgeboren
Der Richter bittet den Gemeindevorstand, ihm den Termin einer Gemeindeversammlung, die Wohnung betreffend, schriftlich mitzuteilen. Er fährt fort:
"Die Ausführung des etwa die Beschaffung aussprechenden Beschlusses setzt nach unserer Auffassung voraus, daß die Justizverwaltung sich verpflichtet,
1. das Amtsgericht Tostedt innerhalb eines Zeitraumes von mindestens 30 Jahren weder aufzuheben noch dessen Sitz zu verlegen,
2. dem jedermaligen Amtsrichter die miethweise Benutzung der Wohnung gegen einen jährlichen Miethzins von 360 M. - 400 M. aufzuerlegen."
Tostedt, 21. October 1891. Königliches Amtsgericht, von Borries
Amtsrichter v. Borries kann nun endlich auf einen positiven Gemeindebeschluß vom 4. Oktober 1891 Bezug nehmen und teilt dem Gemeindevorsteher mit, "daß ich den Herrn Präsidenten des Königlichen Landgerichts zu Stade gebeten habe, seinerseits dahin zu wirken, daß der Herr Minister der Justiz die ... Gewähr für die mindestens 30jährige Benutzung der zu errichtenden Amtsrichterwohnung durch den jedermaligen Richter ... übernehmen möge."
Tostedt, 31. Dezember 1891. Königliches Amtsgericht, gez. Kölle
Es handelt sich um ein mit dem Vermerk "Eilig!" versehenes Schriftstück, gerichtet an den Gemeindevorsteher Kröger, unterzeichnet von einem wiederum neuen Amtsricher, und es erweist sich als recht brisant: Die Herren Vorstandsbeamten des Königlichen Oberlandesgerichtes stellen einerseits das "dringende Bedürfnis zur Beschaffung einer ausreichenden und namentlich einer gesunden Familienwohnung für den Amtsrichter" fest, erkären jedoch zugleich, "daß die Justizverwaltung nicht in der Lage sei, die von der Gemeinde gewünschte Garantie für die Benutzung der beschafften Wohnung durch den jedesmaligen Amtsrichter und für die Existenz des hiesigen Amtsgerichtes zu leisten, sie lassen die Gemeinde darauf hinweisen, daß sie, falls die gegenwärtige Wohnungsnoth nicht alsbald behoben werde, der Frage der Aufhebung des "so wenig beschäftigten" Amtsgerichtes näher treten werden, und ermächtigen das Amtsgericht, der Gemeinde die unverzügliche Beschaffung einer Amtsrichterwohnung nahe zu legen, falls die Gemeinde sich das Amtsgericht zu erhalten wünsche. Das Amtsgericht ist angewiesen, bis zum 22. März 1892 über die von der Gemeinde beliebten Schritte den Herren Vorstandsbeamten Bericht zu erstatten."
Hamburg, d. 13. Januar 1892
J.W.Huth & Co. - Caffee und Colonialwaaren en gros (gedruckter Briefkopf)
"Geehrter Herr Kröger! Wenn sich kein besserer Platz finden sollte, werde ich den Eckplatz dem Meyer«schen Posthause gegenüber, zum Amtsrichterhause unentgeltlich hergeben, d. h. wenn nicht zu großer Garten verlangt wird. Ich komme am Sonnabend d. 16. nach dort und werde mit Ihnen darüber reden. Sollten Sie Ihren Platz geben wollen oder ihr Nachbar Bremer, so stehe ich zurück ... Besten Gruß Ihr Wilh. Huth"
So scheint die Angelegenheit nun doch in Gang zu kommen! Wann das Haus fertig geworden ist, geht aus den im Archiv der Samtgemeinde vorhandenen Unterlagen nicht hervor. Auch über den Architekten und die beteiligten Handwerker war nichts in Erfahrung zu bringen. Eine erste Erwähnung findet das Gebäude - es wird von älteren Einwohnern noch heute Varenhorst-Villa genannt - in einem Mietvertrag vom 14. Mai 1901:
"¤ 1: Die Gemeinde Tostedt vermietet dem Amtsrichter Dr. Varenhorst für die Dauer seines hiesigen Amtes als Amtsrichter, jedoch mit vierteljährlicher Kündigung nach einem etwaigen Ausscheiden aus dem hiesigen Amte, das an der Kastanien-Allee und Poststraße gelegene sogenannte Amtsrichterhaus zum jahrlichen Mietpreis von 500 Mark."
In einer Notiz vom 24. März 1919 erklärt sich Dr. Varenhorst "in Anbetracht der zeitigen hohen Reparaturkosten und der zeitigen großen Belastung der Gemeinde freiwillig bereit, den im Mietvertrag v. 14. Mai 1901 vereinbarten Mietsatz von jährlich 500 M. zeitweise auf 750 M. zu erhöhen... unter Aufrechterhaltung des vereinbarten Mietsatzes von 500 M."
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Abbildung zu Anhang IV (ohne Abb.Nr.), Unterschrift:
Die Amtsrichtervilla, fotografiert von Marion Peschko, 1996
Zusatz : Bei der obigen Darstellung der geschichtlichen Entwicklung des Amtsgerichts Tostedt handelt es sich um einen Auszug aus dem Sonderheft der Zeitschrift des Vereins für Geschichte Natur - und Heimatkunde Tostedt und Umgebung e.V., den "Nachrichten von Hermann und Erika", Heft 27, 2002. Der Verein hat dem Amtsgericht Tostedt freundlicherweise die Veröffentlichung auf der Website des Amtsgerichts Tostedt genehmigt. Im Sonderheft, das zum 150-jährigen Bestehen des Amtsgerichts Tostedt erschienen ist, befinden sich Abdrucke verschiedener ausdrucksvoller Fotos, Zeichnungen, Landkarten und Dokumente. Diese sind in den obigen Abschnitten "Abbildungen" und "Anhang" aufgelistet. Um den Anreiz zum Erwerb der Broschüre zu erhalten, wurden diese Abdrucke hier nicht übernommen. Interessierte können die Broschüre direkt beim Verein für Geschichte Natur - und Heimatkunde Tostedt und Umgebung e.V, Himmelsweg 8, 21255 Tostedt beziehen (5,00 Euro). |